Freitag, 19. Dezember 2008

In Extremo: Hosenträger aus dem Mittelalter

Palladium zu Köln, 17.12.08

"Damals wie heute zanken die Barden wie Walter und Neidhardt vor 800 Jahren": Mit Marktsackpfeifen, Harfe und Drehleier luden die Mittelalter-Rocker von In Extremo zum "Sängerkrieg" im Mülheimer Palladium. Rund 3000 Fans nahmen stimmgewaltig teil und ließen das düstere Zeitalter hoch leben - ein bisschen wenigstens.

Lederwams, handgemachte Kettenschürzen und Manschetten, bärtige Männer mit wallender Haarpracht: Bei In Extremo herrschte nicht nur auf der Bühne die Mode des Mittelalters, auch im Publikum folgten einige diesem Dresscode. Mehr oder weniger stilecht - aber so genau nahm es die Band auch nicht immer.

Mit Minnesang, mittelalterlichen Instrumenten und entsprechenden Liedtexten - die ältesten aus dem 8. Jahrhundert - haben sich die Berliner seit 1996 Kultstatus unter Mittelalter-Fans erspielt. Seit einiger Zeit verbindet die siebenköpfige Band die alte Tradition mit Elementen aus Rock und Metal - und zwar kommerziell höchst erfolgreich: So schoss ihr jüngstes, insgesamt neuntes Album "Saengerkrieg" dieses Jahr auf Platz eins der deutschen Charts.

Auch wenn sich die Gruppe textlich weitgehend treu geblieben ist - noch immer singt Das Letzte Einhorn alias Michael Robert Rhein vom "Spielmannsfluch", von Gauklern und Edelmännern, und das teilweise in uralten Sprachen - ging der große Erfolg von In Extremo anscheinend auf Kosten der Authentizität: Im Palladium erlebten die Fans ein beinahe waschechtes Rockkonzert, in dem die mittelalterlichen Instrumente, Kleidung und Show-Effekte eher Staffage waren.

Zwar sind die Marktsackpfeifen in beinahe jedem Stück präsent, und auch die anderen traditionellen Instrumente kommen zum Einsatz - der Sound von In Extremo wird jedoch dominiert von der klassischen Rockbandbesetzung: Das klingt oft wie Deutsch-Punk im Stil der Toten Hosen und zuweilen nach Metal mit Korn- und Rammstein-Anleihen. Statt mittelalterlicher Harmonik gab es meist eingängige Pop- und Rockmelodien.

Die Fans waren dennoch begeistert: Bei Hits wie "Mein rasend Herz" und "Frei zu sein" und "Liam" stimmten sie inbrünstig ein. Der Sängerkrieg endete also im Frieden.

Dienstag, 9. Dezember 2008

Peter Fox: Schunkelnde "Stadtaffen"

Palladium zu Köln, 8.12.08

Peter Fox träumt von einem "Haus am See", in dem er mit 20 Kindern und seiner schönen Frau seinen Lebensabend einläuten will. Wenn der Berliner Sänger in jeder Stadt so gefeiert wird wie jetzt im Kölner Palladium, wird er seinen Traum wohl bald wahr machen können.

Zehn Jahre lang rollte Peter Fox alias Pierre Baigorry die europäische Reggae- und Dancehallszene mit seiner Band Seeed von hinten auf, setzte Trends und feierte Erfolge. Dann investierte der Berliner sein ganzes Erspartes in eine Solo-Produktion - und begeistert nun mit seinem Album "Stadtaffe" und den Hitsingles "Alles neu" und "Haus am See" den MTV-Nachwuchs, der vor zehn Jahren noch zur Grundschule ging. So sichert man sich wohl als Musiker seine Rente.

Im ausverkauften Palladium trafen denn auch die alten "Seeed"-Fans auf die blutjunge "1Live"-Generation, die Peter Fox jüngst ihre "Krone" verliehen hat. Und beide Gruppen konnten zufrieden sein: Fox lieferte eine temporeiche und tanzbare Show ab, die Fans von Dancehall, HipHop und Breakbeats gleichermaßen bediente. Mitreißend waren insbesondere die Trommeleinlagen der vier Amerikaner von "Cold Steel Drumline" Zwar reichte das Material von Fox' Soloalbum nur für eine knappe Stunde Programm plus Zugaben, aber die hatte akustisch und visuell einiges zu bieten.

Es ist, als hätte Fox nach zehn Jahren "Seeed" den Reset-Schalter gedrückt und könnte sein Glück nun selbst kaum fassen: Auf der Bühne wirkte der Rapper zeitweise so agil und naiv-begeistert, als sei er noch völlig neu im Musikbusiness und freue sich über 4000 neue Kölner Freunde. Diese positive Ausstrahlung machte denn auch so manche Schwächen seiner Show wett: Den schrillen Sound etwa, die im Vergleich zu Seeed einfacher gestrickten Melodien und das misslungene Experiment, die echten Streicher auf dem Album durch Synthies und Sampler zu ersetzen.

Stattdessen freute sich das Kölner Publikum über einen Berliner, der mit Textzeilen wie "Das Leben will einen ausgeben" (aus Seeeds "Aufstehen") glatt eine Art Fastelovends-Hymne in petto hatte -- und sich so direkt in die Herzen der schunkelnden "Stadtaffen" sang.

Sonntag, 23. November 2008

Roísín Murphy: Discosause mit Animationsprogramm

E-Werk zu Köln, 22.11.08

Bei Roísín Murphy bekommt man noch etwas für sein Geld: Zwei Stunden lang Dancefloor-Beats, ein paar gefühlige Soul-Balladen, atemberaubende Tanzeinlagen, geschätzte 20 verschiedene Outfits und eine blendende Light-Show etwa. Mit ihrem Disco-Zirkus machte die irische Pop-Prinzessin Station im ausverkauften Mülheimer E-Werk.

Madonna hat es vorgemacht: Wer im Disco-Business überleben will, muss nicht nur hart arbeiten, sondern sich zudem ständig neu erfinden. Roísín Murphy, einstige Sängerin der kultigen Triphop-Pioniere Moloko, hat diese Lektion mehr als nur verinnerlicht: Für ihre 2000 Fans im E-Werk huscht sie immer wieder zum Bühnenrand und kehrt mit einem neuen spektakulären Kostüm wieder zurück. Oder zieht sich gleich im Rampenlicht um - zur Freude vor allem des männlichen Publikums.

Bei Roísín Murphy steht - wie im Disco-Metier seit jeher - das Äußere im Zentrum. Und so interessierte den Großteil ihres Publikums denn auch weniger, welches Stück die 35-jährige Irin mit ihrer vielköpfigen Band gerade spielte, solange ein tanzbarer Rhythmus auszumachen war. Die perfekt dargebrachten House, Trip-Hop- und Disco-Nummern ihrer beiden Solo-Alben boten nur die Untermalung für kurzweilige Showelemente: Bei der Moloko-Nummer "I can't help myself" etwa trug Murphy zwei lebensgroße Männerpuppen um den Hals. Das war natürlich spektakulär.

Dabei hatte der Abend auch inhaltlich viel versprechend begonnen: Für die Disco-Nummer "Checkin' on me" und einige soulige Balladen hatte die Band anfangs die Bühne verkleinert, Murphy konzentrierte sich augenscheinlich auf ihre eigentliche Kunst - das Singen - und im E-Werk entstand tatsächlich so etwas wie Atmosphäre.

Nach einer knappen halben Stunde dann Vorhang: Die Band ist wie ausgewechselt, jetzt gibt es Disco-Sause und Animationsprogramm. Wen es an diesem Abend auf die Tanzbretter zog, der bekam bei Roísín Murphy ein erstklassiges Warm-up-Programm. Ob die Sängerin bei all der Arbeit überhaupt registrierte, in welcher Stadt sie gerade war, blieb jedoch bis zuletzt unklar.

Dienstag, 11. November 2008

Keane live: Lasst Radiohead nicht A-ha covern

Zwischen zeitlos-schönen Melodien und triefendem Kitsch verläuft ein schmaler Grat, auf dem die drei Briten von Keane zumeist recht sicher unterwegs sind. Im Palladium jedoch trampelten die Herren den engen Pfad recht großfüßig breit.

Keane sind große Nostalgiker, und ihre Nostalgie hat die Achtziger als Gegenstand: Als Auftakt erklingt im Palladium das unglaublich kitschige Gitarren-Thema aus dem Streifen „Top Gun", bevor die Band um Sänger Tom Chaplin die Bühne betritt. Hinter ihr, auf der riesigen Video-Leinwand, wird derweilen das „Keane Micro System" hoch gefahren, ein Uralt-PCs nachempfundenes Betriebssystem, das gleich die Botschaft des Abends ausspuckt: „Everything fine, cool, sweet".

In der Tat ist bei Keane an diesem Abend vieles schön: Die Band, verstärkt durch Bassist Jesse Quin, gibt ein Harmonie-beladenes, 80 Minuten dauerndes Set zum Besten; die Lichtshow mit ihren prallen Farben und vielen Effekten ist bunt, das Publikum im fast randvollen Palladium ist dankbar und begeisterungsfähig. Die größten Hits der Band, „Somewhere only we know" und „Everybody's changing", werden inbrünstig mitgesungen. Bei den epischen, zeitlos schönen Darbietungen von „This is the last time" und dem nur mit Akustikgitarre dargebrachten „Bend and break" schaffen Keane Gänsehaut-Atmosphäre.

Zuweilen jedoch will die Band zu viel: Dann scheint es, als wollten Keane die Essenz der gut 25 Jahre zurück liegenden „New Romantic"-Epoche finden, wobei sie jedoch über das Ziel hinaus schießen. Mal schrille, mal sedierende Synthie-Einlagen und der vollkommen überhallte Sound machen es immer schwerer, Stücke voneinander zu unterscheiden. Und wo ihre Vorbilder - offenbar Gruppen wie Duran Duran oder Spandau Ballet - auf Pastelltöne setzten, blenden Keane mit intensiven Farben und hitzigen Video-Einspielungen und lenken damit teilweise völlig von ihrer Musik ab.

Keane klängen, als coverten Radiohead A-ha: So formulierte es einmal der britische „New Musical Express". Gerade wenn zwei so unterschiedliche Epochen zusammen funktionieren sollen, kommt es auf das Maß an. Hier trugen Keane insgesamt zu dick auf.

Patrice in Köln: Vom Jüngelchen zur Rampensau

„Ich habe zwei Persönlichkeiten, die sehr oft miteinander kämpfen", brüllt der zuvor noch so schüchtern wirkende Patrice beim Bad in der Menge. So lange sein innerer Kampf so mitreißend ist wie am Donnerstag im ausverkauften E-Werk können wohl zumindest Patrice' Fans mit dessen Persönlichkeitsspaltung hervorragend leben.

Tatsächlich zeigte sich der 29-jährige Singer/Songwriter an diesem Abend zwei sehr verschiedene Seiten von sich, die auf den ersten Blick schwer vereinbar scheinen: Da stand anfangs der schüchterne Junge mit der zugeknöpften Zirkusjacke auf der Bühne, der sich kaum bewegen mochte und sich an seiner kleinen Konzertgitarre festhielt. Der mit leise gezupften Akkorden und zerbrechlicher Stimme beschwor, dies sei „ein Konzert und keine Show" – und das sei ein ziemlicher Unterschied. Hier gehe es schließlich um Musik und nicht um Entertainment.

Eine gute Stunde später hat Patrice seine Meinung offensichtlich geändert: Im Oberhemd stürmt er über die anscheinend viel zu klein gewordene Bühne, springt, tanzt und brüllt Dinge wie „Make some noise" oder „Everybody clap your hands". Die Menge tobt, wirft die Arme in die Luft, lässt sich von dem zur Rampensau gewordenen Patrice dirigieren und bejubelt jede seiner nun doch größeren Gesten. Seine 2000 Fans im E-Werk tanzen, singen und „feiern das Leben", wie Patrice es von ihnen möchte.

Musikalisch ging es indessen noch vielseitiger zu an diesem denkwürdigen Abend: Von balladesken Popnummern wie „Wings of a dove" über Patrice' Reggae- und Skanummern früherer Alben bis hin zu den eher Funk- und Soul-beeinflussten Nummern seines neuen Albums „Free Patri-Ation" reichte das Repertoire. Mit „Pressure Drop" von Toots & The Maytals brachten Patrice und seine hervorragend aufgelegte Band auch einen echten Sixties-Ska-Klassiker.

Für den in New York und Kerpen lebenden Sänger war es ein triumphales, fast zweistündiges Heimspiel: „Ich kenn ja die Hälfte on euch!", freute sich Patrice beim Bad in der Menge. Die 2000 Fans, die das fast zweistündige Konzert im E-Werk miterlebten, kennen den Sänger nun auch etwas besser.

Mittwoch, 15. Oktober 2008

Jakob Dylan live: Träumen oder Einschlafen

Jakob Dylans Stimme klingt stark nach Bruce Springsteen. Doch bevor jemand hastig einen Vaterschaftstest fordert – äußerlich hat der 38-Jährige durchaus starke Ähnlichkeit mit Vater Bob. Was wiederum auf seine Musik nur bedingt zutrifft. Die präsentierte er am Dienstag vor rund 200 Fans in der Kulturkirche.

Traumhaft schön oder zum Einschlafen langweilig – das war wohl die Frage des Abends: Die große Mehrheit sprach sich letztlich pro Dylan aus, bejubelte jeden Gitarrenakkord des Sängers und feierte jedes „Thank you" aus dem Mund des Dylan-Sohnes wie eine Liebesbekundung. Die Minderheit aalte sich derweilen auf den Gebetsbänken im nicht einmal halb vollen Kirchenschiff und rang mit der Müdigkeit.

Musikalisch hat der ehemalige „Wallflowers"-Sänger das Rad sicher nicht neu erfunden. Die Stücke seines Soloalbums „Seeing things" gleichen sich stark und bewegen sich alle im überschaubaren Spielraum leicht Country-beeinflusster Singer-Songwriter-Nummern, die mit wenigen Akkorden, Harmonien und auch sonst völlig unprätentiös daher kommen. Einprägsame Refrains wie bei „Evil is alive and well" oder „Everybody pays as they go" sind selten, und von großen Gesten scheint Dylan wenig zu halten.

Mit seiner Begleitband, den „Gold Mountain Rebels", die aus Audley Freed an der (Twang-)Gitarre, George Reiff am Bass und Fred Eltringham am Schlagzeug besteht, kreiert Jakob Dylan eine Klangteppich, auf dem sich seine wirklich beeindruckende Stimme in aller Ruhe ausbreiten kann. Es ist eine Stimme, um die ihn sein Vater sicher beneidet: Sie hat das leicht Reibeisenartige eines Bruce Springsteen und umschmeichelt den Hörer zuweilen wie ein Marc Cohn und in starken Momenten glaubt man, Chris Rea heraus zu hören.

Es ist diese Stimme, zusammen mit Dylans anfangs spröden, dann immer warmherzigeren Art, die den Großteil seines Publikums sanft durch den Abend wiegt. Die etwas Sehnsucht vermittelt, aber nie zu viel, und den Hörer im nächsten Moment wieder ins traute Heim geleitet. Dort ist es wohlig-warm und gemütlich, auf dem Herd kocht Teewasser. Und beim Blick in den Kamin träumen die einen - und die anderen schlafen ein.

Camille ist zu betrunken für Sex

Camille ist zu betrunken für Sex. 800 Kölnerinnen und Kölner im Gloria-Theater scheint es ähnlich zu gehen, wie ein Mantra wiederholen sie die Zeilen „Too drunk to fuck". Plötzlich verschwindet Camille von der Bühne, taucht Sekunden später im Publikum auf und spritzt ihre Fans mit Whisky nass. „Vielleicht doch nicht...", sagt sie verschmitzt.

Es waren Szenen wie diese, mit denen sich die französische Sängerin in Köln verewigt hat. Wer ein seichtes Pop-Konzert mit zuckersüßem Akzent erwartet hatte, bekam jedenfalls im wahrsten Sinne den Kopf gewaschen – mit Whisky.

Dabei ist es eigentlich das musikalische Phänomen Camille, das wohl für die meisten ihrer Fans ihre Anziehungskraft ausmacht: Denn in ihrer Musik gibt es kaum (echte) Instrumente – fast alle Beats, Basslinien, Streicher, Keyboards, ja sogar Samples produziert ihr siebenköpfiges Ensemble mit den eigenen Körpern.

„Body Percussion" nennen sie diese körperliche Klangerzeugung: Zwei Sängerinnen und zwei Tänzer sind ständig in Bewegung, stampfen rhythmisch auf den Bühnenboden, klopfen sich auf Brust, Beine und dauernd in die Hände. Dazu sorgen zwei sehr beeindruckende Beatbox-Spezialisten fachmännisch für täuschend echte Dancefloor-Beats. Nur ab und zu mischt eine Pianistin „klassische" Klänge bei.

Und Camille singt nicht nur – sie ist Soul-Lady, Punk-Göre, Disco-Diva und nur scheinbar die Pop-Sängerin mit dem süßen Akzent – die jeden Moment explodieren kann, wild kreischend zum Derwisch wird. Sie tanzt fast ununterbrochen, läuft minutenlang im Kreis, bis ihr schwindlig wird, lässt ihre Fans bei „Cats & Dogs" bellen und miauen

Betrachtet man ihre Musik isoliert – was bei all den Show-Effekten kaum möglich ist – so bietet sie hochwertigen, sehr differenzierten Disco-Pop mit treibenden, oft auch vertrackten Grooves („Gospel With No Lord"), theatralisch anmutende Musical-Kompositionen (den Song „Le Festin" steuerte sie zum „Ratatouille"-Soundtrack bei) und bewegende, unorthodox arrangierte Balladen wie „La jeune fille aux cheveux blancs". Aber auch Punk-Coverstücke wie eben „Too drunk to fuck" bekommen in dieser Konstellation ganz neuen Reiz.

Mit ihrer energiegeladenen Show rief Camille im randvollen Gloria-Theater wahre Begeisterungsstürme hervor. Im Vorprogramm hatte bereits die junge Schweizer Pianistin Sophie Hunger mit ihren filigranen, intelligenten Balladen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Übrigens...

Hallo Hallo,
es könnte sein, dass sich die Konzertkritiken in nächster Zeit deutlich mehren...das liegt nämlich daran, dass ich in Köln einen Laden gefunden habe, der mich dafür bezahlt, auf Konzerten herum zu stehen, ein auf zwei Bier zu trinken und anschließend Bericht zu erstatten. Die Kollegen legen allerdings - glaube ich - etwas Wert auf Seriösität, so dass ich nicht immer ganz deutlich werden darf und mir auch meine berüchtigten Anekdötchen und mentale Hakenschlagerei verkneifen muss. So geschehen auch im Fall des Lemonheads-Textes.

Aber wer will da schon meckern!

Also wenigstens passt hier mal wieder was. Und die Millionen Klicks auf meiner Seite haben endlich wieder einen Sinn.

Also vielleicht trifft man sich ja demnächst mal bei Peter Maffay, Brings oder Avril Lavigne -
Bis dahin!

Montag, 6. Oktober 2008

Evan Dando sieht alt aus

Er möge ihn bitte nicht aus der ersten Reihe fotografieren, wird der Fotograf angehalten. Evan Dando, der Sänger der Lemonheads, hält wenig von Nahaufnahmen – vielleicht weil sie die Spuren zeigen würden, die jahrelange Alkohol- und Drogeneskapaden im Gesicht des 41-Jährigen hinterlassen haben. Lieber lässt Dando seine zeitlos frischen Indie-Pop-Hits als Erinnerung zurück.

Sie ist älter geworden, die Klasse von 1992, doch ihr Soundtrack scheint ewig jung zu bleiben: „It’s a shame about Ray“ hieß die Indie-Platte des Jahres, und mit ihr wurden The Lemonheads aus Boston zu den Helden beinahe jeden Oberstufenparty-DJ’s. Ihre ungestüme Coverversion von Simon & Garfunkels „Mrs. Robinson“ schaffte es sogar in so manches Bierzelt.

Evan Dando hingegen scheint sich – aus der Distanz – kaum verändert zu haben: Noch immer hängt ihm die Matte auf die Schultern, wirkt er wie der ewige Grunge-Jünger. Noch immer spielt er mit seinen - zwischenzeitlich aufgelösten, mehrfach umformierten und vor zwei Jahren ins Leben zurück geholten – Lemonheads die Stücke von „It’s a shame about Ray“, und es klingt sogar beinahe wie damals.

So auch im Gebäude 9, wo die gut 300 Fans am Freitagabend sich zu einer Art Klassentreffen mit Live-Band zusammengefunden haben: Sie bekommen all die Hits, „Rudderless“, „Drug Buddy“ und „Alison’s starting to happen“ etwa. Nachdem „It’s a shame about Ray“ fast komplett und in der Original-Reihenfolge abgehandelt ist, spielt Dando einige Stücke solo. Schließlich gibt die Band, zu der außer Dando diesmal der Bassist Vess Ruhtenberg und Drummer Devon Ashley gehören, eine Art Insider-Best-of aus der Zeit nach 1992 zum Besten: Stücke wie „Down about it“ oder „Tenderfoot“ werden begeistert aufgenommen. Das Publikum wirkt fasziniert, zwischen den Stücken wird anerkennend applaudiert und zuweilen andächtig geschwiegen.

Lustlos heruntergerasselte Stücke
Der Mann im Mittelpunkt jedoch wirkt müde. Zwischen den lustlos heruntergerasselten Stücken kaum ein Wort zum Publikum, sichtbare Mühe bei den Gitarrensoli und seine in den Höhen ersterbende Stimme sprechen für sich. Die Drogenhistorie, die er auch in Stücken wie „Hospital“ und „Style“ ehrlich thematisiert, hat Spuren hinterlassen in Dandos Gesicht und Gestik. Der Sänger wirkt zeitweise wie ein alter Mann.


Ihr selbstbetiteltes jüngstes Album (2006) fiel fast gänzlich unter den Tisch – stattdessen große Nostalgie und keine Nahaufnahmen: Evan Dando scheint die Spuren seiner jüngeren Vergangenheit verwischen zu wollen. Wirklich gelungen ist es ihm nicht.



Kleine Fußnote: In der englischen Wikipedia steht dies geschrieben: "On 23rd April 2008 at the inaugural NME US Awards ceremony at the El Rey in Los Angeles, Dando received the classic album award for It's A Shame About Ray, and also performed My Drug Buddy and the album's title track acoustically. According to reports, soon after receiving the award, Dando deposited it into a garbage can, telling a minder "I don't want this".

Donnerstag, 25. September 2008

Hookerman: Stinkende Märchen

Für Aachener Nachrichten

„Jedes Wort hat seine Farbe, mit einem Song male ich eine Geschichte“. Tejo Verstappen hat wieder ein paar neue Geschichten gemalt, gemeinsam mit seiner Band Hookerman, und zu hören auf dem neuen Album „Monkey Zoo“.

Um die Erklärung des Maastrichter Sängers zu verstehen, muss man wissen, dass der 52-Jährige von Fans und Kennern mit gutem Grund als „holländischer Tom Waits“ bezeichnet wird. Nicht nur stimmlich kommt Verstappen seinem Vorbild recht nahe, auch textlich nimmt er sich lieber „stinkender Märchen“ und „teuflischer Geschichten“ an, als von guten Zeiten zu singen.

Verstappens Band Hookerman, deren Mitglieder aus allen drei Ländern der Euregio kommen und die ihr Zentrum – ihren Proberaum – in Aachen hat, hat nun ihr drittes Album herausgebracht: Nach „Between August and July“ (1998) und „Absolutely Maybe“ (2002) legt „Monkey Zoo“ nun Zeugnis einer Weiterentwicklung ab, die nach wie vor Bar Jazz und „Freak Rock“ als Ausgangspunkte erkennen lässt, die Band jedoch vielseitiger zeigt als je zuvor.

Die elf Stücke des neuen Albums repräsentieren eine Bandbreite, die von der elegischen, geradezu intim anmutenden Bar Jazz-Nummer „Monkey Zoo“ bis hin zum straighten Pop-Rock von „Do you really?“ reicht. Dazwischen finden sich fast schon zappaeske Einwürfe mit aberwitzigen Texten wie „Now it goes around the sausage“ und bewegende Balladen wie „Diggin’ a hole“ und „Good things overtake us“. Auch die für Hookerman typischen „Freak Rock“-Stücke fehlen nicht, gleich der Opener „Spider on Banana“ erfüllt dahingehend alle Erwartungen.

Hookerman haben sich seit ihrem letzten Album auch personell umgestellt: Ihr früherer Saxophonist ist dem neuen Gitarristen Thomas Nordhausen gewichen, der nun zusammen mit dem Organisten Joonas Lorenz für die Soloeinlagen sorgt. Das Ergebnis ist ein „noch kompakterer Sound“, findet Tejo Verstappen und behält Recht. Ein weiterer Neuling in Reihen der Band ist der belgische Kontrabassist Tom van Acker, der das schwere Erbe von Hartmut Heil angetreten hat. Heil hat der Band auf „Monkey Zoo“ noch einige seiner Kompositionen hinterlassen – gut zu erkennen an den annähernd dadaistischen Texten, die über viele Jahre eines der Markenzeichen von Hookerman waren.

Insgesamt sind Hookerman mit ihrem dritten Album etwas rockiger geworden, haben aber auch in andere Richtungen ihre Fühler ausgestreckt: Neben einer kurzen Hendrix-Reminiszenz haben sie nun auch 80er-Synthies und viel Blues zu bieten. Über allem liegt jedoch nach wie vor als roter Faden das tiefe Timbre, die markant-rauchige Stimme von Tejo Verstappen, die meistens tatsächlich an Tom Waits, zuweilen aber auch an Joe Cocker erinnert; die mal wütend, mal gequält klingt, hier Anklage erhebt und da um Vergebung winselt.

Die fünf Musiker haben ihr Album im vergangenen Winter in einem anfangs klirrend kalten Studio aufgenommen, erzählt Verstappen. Und es ist wohl auch eine Platte für die kalte Jahreszeit, für warme Öfen und guten Rotwein – und gemalte Geschichten, die nicht immer gut ausgehen, und gerade deswegen so nah am Leben sind.

Internet: www.hookerman.de

Mittwoch, 17. September 2008

Sido in Köln: "Aua Aua Aua..."

Live Music Hall, 16.9.2008

Wie eine Lichtgestalt steht Sido auf der Bühne, die strahlend weiße Kleidung und der Ring aus Scheinwerfern hinter ihm lassen ihn beinahe engelsgleich erscheinen. Dann rappt er: „Ich bin all das, wovor euch eure Eltern immer gewarnt haben" und gut anderthalb Tausend meist jugendliche Fans jubeln ihm zu.

Verdirbt der Rapper, der sich „superintelligentes Drogenopfer" nennt, unsere Jugend? Diese Frage scheinen sich zumindest die Dutzenden Eltern und großen Brüder in den hinteren Reihen zu stellen, die die vielen Teenager in die Live Music Hall begleitet haben. Skeptisch schauen sie zur Bühne, wo Sido gerade sein Publikum fragt, ob denn auch alle „perverse Schweine" seien.

Fast zwei Stunden lang lässt der „Aggro Berlin"-Rapper und frisch gekürte Juror der neuesten „Popstars"-Staffel kaum eine Gelegenheit aus, zu betonen, dass er ja eigentlich „ein schlechtes Vorbild" sei. Allerdings, räumt er ein: „Wer sagt, was schlecht ist?" - und immerhin habe er ja „Geld, Frauen und Spaß". Solche Argumente ziehen bei seinen Fans scheinbar besser als die Gutmensch-Ambitionen nerviger „Ökotanten".

Groovende Band, trashiger Gesang
Lässt man seine textlichen Entgleisungen einmal außenvor, bietet Sido eine äußerst unterhaltsame und musikalisch solide Vorstellung: Als einer der wenigen Rapper leistet er sich sogar eine echt Band, die in ihren besten Momenten dermaßen funky groovt, dass selbst der graubärtige Papa am Bierstand mitwippt. Sido sollte das Singen wie in seinem trashigen Liebeslied „Carmen" zwar tunlichst unterlassen; sein Rapstil allerdings ist – wie im Hit „Mein Block" - punktgenau und mitreißend. Auch als versierter Entertainer macht Sido eine gute Figur.

Letztlich geht es auch bei Sido nur um das altbekannte Phänomen der adoleszenten Abgrenzung. Sangen vor 20 Jahren die „Ärzte" von „Geschwisterliebe", so singt Sido heute über Analverkehr: "Aua Aua Aua...". Das schien auch einigen in den hinteren Reihen einzuleuchten, wo im Laufe des Konzerts manch skeptischer Blick einem Schmunzeln wich.

Sonntag, 24. August 2008

Gehobenes Entertainment mit Wir sind Helden

Wir sind Helden auf der Bonner Museumsmeile, 23.08.2008 (für Kölnische Rundschau)

"Entspricht das, was wir hier veranstalten, in etwa euren Vorstellungen von gehobenem Entertainment?", ruft Judith Holofernes ins Publikum - und bekommt ein ohrenbetäubendes "Ja!" aus rund 5000 Kehlen als Antwort. Mit ihrer Band "Wir sind Helden" hatte die Sängerin die Fans auf dem Museumsplatz gänzlich in der Hand.

Das war sie also, die Gruppe, der seit jeher die Bezeichnung "Konsensband" anhaftet. Und tatsächlich: Bei ihrem Gastspiel auf dem Museumsplatz am Samstagabend herrschte eine derartige Eintracht auf und vor der Bühne, dass es auch den letzten Zyniker in die Flucht schlug.

Dabei schien die Band anfangs anderes im Sinn zu haben: Kurz nach 20 Uhr eröffneten die "Helden" ihr Konzert "Endlich ein Grund zur Panik". Von einem "Zuhause für deine wilden Träume" singt Holofernes darin, und thematisiert damit den Zeitgeist einer visionslosen Jugend, die Gefahr läuft, auf der Suche nach Bedeutung an die falschen Heilsbringer zu geraten.

Solch scharfsinnige, sehr gegenwärtige Texte sind einer der Gründe für die große Popularität der "Helden". Ein weiterer Grund ist das sympathische, vollkommen ungekünstelte Auftreten der Band, die ohne jedes Pathos auskommt. Große Popstar-Gesten? Fehlanzeige. Stattdessen eine Mischung aus Berliner Schnodderigkeit und Akademikervokabular, das Fans von Popstars-Castings wie Chinesisch vorkommen muss. "Wir lockern unsere eigenen Vorstellungen von Erwachsene-Leute-Entertainment", sagte Judith Holofernes denn auch zu ihrem Bonner Publikum.

Die Argumente haben "Wir sind Helden" auf ihrer Seite: Eingängige, tanzbare Popstücke, die einen mitsingbaren Refrain selten schuldig bleiben. Besonders abgefeiert wurden die Radio-Hits der ersten beiden Platten: "Guten Tag", "Denkmal" und "Gekommen um zu bleiben" etwa. Der gut eingespielte Bläsersatz, den sich die Band für die Sommertour leistet, verleiht sowohl ihren eigenen Stücken als auch der grandiosen Covernummer "Why can´t I be you" von The Cure zusätzliche Dynamik. Und bei all dem Pop und all der guten Laune hat ein "Helden"-Konzert sogar zwei, dreimal etwas Tiefe, etwa bei der Ballade "Ein Elefant für Dich".

Insgesamt also ein rundum überzeugendes Gastspiel, das von Jung - es waren erstaunlich viele Kinder da - bis Alt jeden begeistert haben dürfte.

Donnerstag, 24. April 2008

Top 5: Deutsche Kinofilme

Zuletzt habe ich "Die Welle" ertragen müssen. Statt eines (verdienten!) Verrisses nun der Versuch, die fünf besten deutschen Kinofilme auf die Reihe zu kriegen.

1. Das Boot
2. Das Experiment
3. Bang Boom Bang
4. Winterschläfer
5. Werner - Beinhart

Mittwoch, 23. April 2008

SDNMT/Seidenmatt

Das kommt jetzt reichlich spät, das Konzert ist ja schon anderthalb Monate her. Aber auf dieser Seite spielt Zeit ja eher eine untergeordnete Rolle.

Es war vor etwa vier Jahren, als mir auf Umwegen eine Promo-CD der damals noch Seidenmatt heißenden Berliner in die Hände fiel. "Wasserluft" hieß das Debüt und die Musik darauf war eine Offenbarung. Damals wurde ich zum ersten Mal des Begriffs Post-Rock gewahr, Mogwai und Konsorten kannte ich noch nicht (Spätzünder!). Das war vertrackt und doch eingängig, atmosphärisch und trotzdem manchmal auf die Fresse, größtenteils handgemacht und dennoch irgendwie neu. Seidenmatt machten noch einmal deutlich, wie überflüssig Gesang eigentlich ist.

Vier Jahre und zwei Alben später nun das Wiedersehen im Kölner Underground. Diesmal als zahlender Gast. Eigentlich hatte das Konzert Ende November schon stattfinden sollen und I might be wrong aus Berlin sollten auch mitkommen. Schade dass daraus nichts geworden ist. Immerhin waren noch SDNMT's Proberaumkollegen von Elikan Dew mit von der Partie, die soliden, eingängigen und recht abwechslungsreichen Indie-Rock mit mehrstimmigem Gesang ablieferten.

Dass sich SDNMT weiter entwickelt haben, war schon auf ihrem 2005er-Album "If you use this software often - buy it" erkennbar. Die markanteste Veränderung war seinerzeit der dann doch aufgegriffene Gesang, der für meinen Geschmack im besten Fall überflüssig war. Instrumental fand das zwar noch größtenteils im Kontext der ersten Platte statt, kam jedoch nicht mehr so scheinbar lässig rüber. Mehr als beim Debüt merkte man "IYUTSO-BI" an, wie viel Kopfzerbrechen darin gesteckt haben muss. Die Arrangements waren noch vertrackter, die Entladungen seltener und alles irgendwie math-rockiger. Und, wie gesagt, eben der Gesang. Kurz und gut: Ich ging ohne die Kenntnis des dritten Albums "The goal is to make the animals happy" (2007) zum Konzert.

Zu dem ich nun endlich komme! Im Großen und Ganzen war das angesichts des vernünftigen Eintrittspreises und der unterhaltsamen Vorband durchaus okay. SDNMT haben, glaube ich, nur Stücke ihrer letzten beiden Alben gespielt, was ich schade fand. Es bestätigte sich für mich, dass ihre Musik ein wenig zu verkopft geworden ist. Da ist viel Ungerades, Überraschendes, Abruptes in ihren Stücken. Hatten sie sich auf ihrem Debüt noch einige Flächen erlaubt, und einer behutsamen dynamischen Steigerung immer wieder enorme Eruptionen folgen lassen, üben sich die Berliner nun darin, Höhepunkte immer weiter hinauszuzögern oder gleich zu unterschlagen. Statt Post-Rock Anti-Rock. Die Zwischenräume füllen sie fast ausnahmslos aus, irgendetwas passiert immer bei SDNMT, und sei es, dass wieder jemand singt. Was live übrigens nicht so rüberkam wie auf Platte, wo der Gesang für meinen Geschmack etwas zu exaltiert wirkte.

Wo SDNMT an athmosphärischen Sequenzen sagen wir mal sparsamer geworden sind, tat die Location ihr Übriges. Solche Musik muss mit einer gewissen Würde daher kommen, sie braucht einen passenden Rahmen und auch eine durchdachte Lichtschau. An jenem verregneten Frühjahrsdienstag jedoch war nichts davon zu spüren. Nur etwa 40 Leute verloren sich im hässlichen Underground, und man kennt ja das Kölner Indie-Publikum, das dann mit verschränkten Armen vor einer Band steht und eher selten zu Gefühlsausbrüchen neigt. Wenn dann auch noch die süffisante Frage nach einer Kuhglocke (dem Fetisch jedes 80er-Lederhosen-Schlagzeugers schlechthin) kommt, darf man den Musikern nicht übel nehmen, dass sie ein wenig reserviert bleiben. Was im Underground leider der Fall war. Oder so gesehen: Die Band schien eher für sich selbst zu spielen. Dabei jedoch hatten sie augenscheinlich Spaß.

Fazit: SDNMT sind definitiv eine Reise wert, vor allem wenn sie in einem etwas würdevollerem Rahmen auftreten. Ich würde mir allerdings wünschen, dass sie sich bei ihren Arrangements weniger verzetteln und stattdessen öfter große Gefühle (Mann, klingt das pathetisch) zulassen. Und zwar lieber instrumental als gesanglich.

Freitag, 21. März 2008

Mixtape (mit Anmerkungen)

Da fanden wir eben diese geile Seite, wo man Mixtapes am Rechner machen kann (so ein bisschen best of both worlds mäßig) und prompt mussten wir reinhauen. Wie in guten alten Zeiten, als sowas noch als Tagewerk durchging. Immer diese Nostalgie-Flashs. Aber in Zeiten, wo einem die Achtziger ständig um die Ohren geknallt werden und einen anscheinend auch wieder einholen, darf man wohl auch wieder Mixtapes machen. Und sie sich nachher auf seinem ipod verstohlen in der U-Bahn anhören und - zack! Zurück in 2008.




Übrigens war es schon in der Blütezeit der Mixtapes (also bis etwa Ende der 90er) eine verbreitete Unart, seine Machwerke all seinen Freunden vorzuspielen und ganze Abende im Autoreverse-Modus zu verbringen. Da gab es mal eine Kellerraum-Party, die wir mit einem einzigen NOFX-Mixtape bestritten! 90 Minuten Punkrock und 10 Kästen Wicküler Pils reichten für eine gute Zeit! Gerne wurden die selbstgemachten Kassetten auch zu allen möglichen Anlässen verschenkt - und ganz Wagemutige trauten sich sogar, mit ihren Tapes beim DJ im Jugendheim vorstellig zu werden ("Musst nur kurz bis zum übernächsten Lied vorspulen - is echt total cool!") Das war jedoch meist genauso erfolglos wie der Versuch, der Dame seiner Wahl mit einem in Herzblut getränkten Mixtape seine Empfindungen verständlich machen zu wollen. Denn Mädchen standen auf K' s Choice, Oasis und den Sänger von Bush und waren wie eh und je beratungsresistent.

Geblieben ist jedoch eines: "Ihr wollt euch doch alle nur profilieren!" Dieses Zitat stammt von einem Weggefährten, der uns damals 18-Jährigen mal so richtig den Kopf waschen wollte. Abgesehen davon, dass er selbst nichts anderes tat, hatte er natürlich Recht - und hat es noch. Warum sonst würden wir nun alle Blogs raushauen, auf Myspace unsere Lebensgeschichte erzählen, unseren Musikgeschmack statistisch und minutiös dokumentieren und auf studivz private Sauforgien bebildern? Und das auch noch ungefragt und ganz sicherlich gegenüber einer übersichtlichen Schar Interessierter (ihr wisst schon, die mit dem Bus kommen).

Und deswegen ist das Phänomen Mixtape ein zeitloses. Denn mal ehrlich: Die besten Mixtapes macht man immer (für sich) selbst. Niemand anders kann nachvollziehen, wie viel Mühe und Leidenschaft in so einer Kassette steckt. Und jeder andere würde andere Stücke in einer anderen Reihenfolge auswählen. So gut wie nie ernten Mixtapes die Begeisterung und Anteilnahme, die sie in den Augen ihrer Erschaffer verdienen. Aber vielleicht - und ich halte es für möglich! - lässt sich aus jedem mit Leidenschaft gemachtem Mixtape eine Art musikalische DNA extrahieren, mit deren Hilfe man den Urheber sozusagen, nun ja - klonen kann! Also zumindest den Musikliebhaber, der dahinter steckt. Aber das würde wiederum auf Kosten des Einzigen gehen, was Mixtapes ausdrücken sollen: Einen individuellen Musikgeschmack.

Insgesamt also viel Gerede um eine Sache, die schlicht ein schönes Hobby für Audiophile ist. Und dennoch - haben wir nicht alle die Hoffnung, dass er eines Tages kommt: Der Bus mit den Leuten, die das interessiert?

Montag, 21. Januar 2008

Of Montreal - Satanic Panic In The Attic (2004)

Dem Namen nach erwartete ich irgendwas Kanadisches, irgendeine wirre, aber sympathische Freigeisterei, wie sie Kanadier zuweilen kredenzen.

Was ich bekam, war eine Band, die ich mir anfangs vorstellte wie eine kleine, lustige Truppe von stecknadelkopfgroßen Männlein, die ihre winzigen Instrumente und Verstärker in meinem Gehörgang aufgebaut haben und dort nun immer mal wieder ein bisschen zocken. Sie sind große Fans von Timothy Leary, von den Kinks und den Beatles - und haben es irgendwie geschafft, ganz Ähnliches zu treiben wie ihre großen Vorbilder. Nur sind sie ja ganz klein und niedlich, und anfangs mag man sie noch nicht so ganz ernst nehmen und belächelt sie ein wenig.

Um zu "Satanic Panic" zurück zu kommen: Der Wendepunkt in der Wahrnehmung dieser Platte liegt ziemlich genau zwischen dem Schluss des zweiten Stücks "Lysergic Bliss" mit seinem wilden Chorgesang und dem Anfang von "Will you come and fetch me". An dieser Stelle beginnt etwas, das zeitweise an die magischen Momente der "Abbey Road" erinnert - wenn auch an eine Miniaturausgabe des Beatles-Monuments.

Man mag ihnen einen ungeheuren Zitate-Verschleiß vorwerfen, aber man muss Of Montreal (die natürlich gar keine Kanadier sind) wirklich zu Gute halten, dass sie es raus haben, marmeladenklebrige Ohrwürmer zu komponieren, die sich im Gehörgang geradezu fest zecken. Der Legende nach hat Sänger und Songwriter Kevin Barnes diese Platte fast alleine produziert und eingespielt. Sie wäre definitiv ein fantastisches Gesellenstück für einen Lehrling der Paul McCartney-Gedächtnisschule. Dem Direktor dürfte das Ganze zwar ein bisschen zu ironisch vorkommen, aber hey, das ist man der Gegenwart schuldig. Nur zitieren wäre ja auch irgendwie langweilig.

"Satanic Panic in the Attic" ist mit catchy Melodien geradezu vollgestopft. Was beim ersten Hören noch ein wenig konfus und verspielt wirkt, entpuppt sich nach und nach als Ansammlung zwingender Pointen. Die wichtigste Wirkung entfaltet dabei der stets mehrstimmige Gesang Kevin Barnes', der ein grandioser Nostalgiker sein muss. Instrumental werden die letzten verbleibenden Lücken mit jeder Menge weiterer Melodeien geschlossen. Das ist immer fluffig und nie zu schwer, und manchmal rockt oder funkt es sogar ein bisschen. Sound und Produktion sind gerade noch zeitgemäß und trotzdem halbwegs Sixties-authentisch.

Fazit: Sixties-affine und gegen Hippiegestik wenigstens tolerante Musikfreunde bekommen hier großartige und sehr nostalgische Popmusik, die die leichten Momente des Lebens noch ein wenig mehr erleichtert. In Amerika heißt "Pop" auch "Limo" - und hier wird mit zuckersüßen Melodien dermaßen rumgesaut, dass nachher alles klebt. Sogar dann noch, wenn man glaubt, alles sauber gemacht zu haben. Vielleicht ist dies deswegen noch keine 'bleibende' Musik, aber hartnäckig ist sie allemal.

Mittwoch, 16. Januar 2008

Für den Notfall

Die berüchtigte einsame Insel! Welche drei Bands kommen mit?
Sabrina nimmt mit:
- Elliot Smith
- The Smiths
- Cat Power

Ich packe ein:
- Radiohead
- Sonic Youth
- Beatles

Freitag, 4. Januar 2008

The Strokes leben lieber

Wie kommt der jetzt auf die Strokes? Berechtigte Frage. Schließlich hat die Band aus New York offenbar ihre große Zeit längst hinter sich. Und es liegt nahe, die Strokes als eine dieser klassischen, kurzlebigen Rockphänomene abzutun, als eine dieser Bands, die ihr Pulver viel zu früh verschießen und dann von Ruhm und Geld gelangweilt sich entweder auflösen oder nur noch Belanglosigkeiten raushauen. Man hat das ja oft erlebt, und zuweilen bewahrte nur das frühe Ableben des Sängers eine großartige Band vor dem Absturz in die Bedeutungslosigkeit.

Julian Casablancas hat sich bislang nicht umgebracht. Die Strokes sind, zumindest für die musikalische Gegenwart, bedeutungslos geworden. Mit ihrem 2005er Album "First Impressions of Earth" haben sie überzeugend dargelegt, dass ihr Trumpf eine ungestüme, unperfekte Leidenschaft war, die eine Band im Musikbusiness zwangsläufig verlieren muss. Ihr Versuch, sich mit glasklaren Arrangements und kalkulierter Pop-Architektur weiterzuentwickeln, scheiterte jämmerlich, auch weil eigentlich niemand so etwas von ihnen hören wollte. Man konnte sich fragen, ob da zu viele oder zu wenig Drogen im Spiel waren. Da sie alle noch leben, vermutlich letzeres.

Doch wird man den Strokes mit diesem zu kurz greifenden Urteil nicht gerecht. Es ist zwar leider davon auszugehen, dass von ihnen keine bahnbrechenden Werke mehr zu erwarten sind. Doch haben die New Yorker mit ihrem wilden Garage-Rock am Anfang dieses Jahrzehnts eine Welle ausgelöst, deren Nachwirkungen bis heute spürbar sind. Einerseits musikalisch, mit ihrer Rückbesinnung auf handgemachten, leidenschaftlichen und unprätentiösen Indie-Rock. Ihr noch vor "Is this it?" (2001) veröffentliches Demo (auf dem bereits fast alle Hits enthalten waren) war dabei noch wesentlich prägnanter als das spätere Debüt-Album. Andererseits traten The Strokes auch ästhetisch eine Welle los: Nicht nur in ihren Kompositionen, auch in ihren Videos und sogar in ihrem Outfit fanden sich deutliche Frühachtziger-Reminiszenzen, die heute in der Musikszene unübersehbar geworden sind.

Ich erinnere mich noch an ein Live-Konzert, das seinerzeit (2002) auf MTV ausgestrahlt wurde. Als Kind der Achtziger war mir die Mode dieser Zeit ziemlich zuwider. Dann sah ich den Gitarristen Nick Valensi in engen Röhrenjeans und mit einem dieser billig aussehenden Stoff-Jackets auf der Bühne herumstaksen. Alle fünf Musiker sahen für meine Begriffe betont uncool aus. Das machte die Musik natürlich nicht schlechter und war mir letztlich auch ziemlich egal. Der Modewelt aber offenbar nicht: Mittlerweile sieht man viele junge Leute zwischen 15 und 25, die Nick Valensis kleine Geschwister sein könnten. Man denke nur an die ganzen Indie-Chicks, die überall herum laufen und sich, man sehe es ihnen nach, über den süßen Sänger von Billy Talent austauschen (das erwähne ich nur, weil ich es gestern erlebt habe).

Nun ist Mode ein flüchtiger Wert, flüchtiger jedenfalls als Musik. Und auf diesem Feld gibt es Meilensteine, die zurecht in Erinnerung behalten werden. Ein Beispiel ist Nirvana. Was war das für eine grausame Musiklandschaft, in die Nirvana Anfang der Neunziger hineinstürzten: Rock'n Roll-Poser, allen voran die unsäglich käsigen Guns'n Roses, mit Föhnfrisuren und Dauerwellen. Hair-Metal (Europe), Euro-Pop (Snap) und Mammutkonzerte von Rod Stewart. (Leider scheint der ganze Quatsch mittlerweile wieder hip zu sein, vermutlich auch ein Verdienst der Strokes.) Jedenfalls platzten Nirvana mit ihrer rauhen, explosiven Musik und ihrer Fuck You-Attitüde in diese kranke Zeit hinein und sorgten für einen - wenn auch vorübergehenden - Bedeutungsgewinn der Rockmusik. Ihre Ära dauerte gut drei Jahre, brachte zwei Studioalben und unzählige Epigonen hervor. Und natürlich den Medienhype des ominösen Grunge. Wie wir heute wissen, eine ebenso schwammige wie flüchtige Angelegenheit, die im weithin nichtssagenden Begriff des Alternative münden musste.

Als The Strokes 2000 auf der Bildfläche auftauchten, ähnelte die Musiklandschaft der von 1990. Die Rockmusik erging sich wieder einmal in Posen, Nostalgie und Spartenprogrammen. HipHop war längst omnipräsent geworden, die Zukunft vermutete man im Elektronischen und Grunge wurde von peinlichen Patheten wie Creed oder Bush verkörpert. Bands wie Guano Apes oder die gealterten Metallica gruben der Rockmusik eifrig ein tiefes Grab.

Hätte sich Julian Casablancas 2004 umgebracht oder wäre sonstwie verblichen, die Signifikanz der Strokes für das gesamte Jahrzehnt wäre offensichtlich. Stattdessen haben Bands wie The Hives, die Babyshambles oder Kings of Leon für sie das Ruder übernommen. Die Indie-Rockszene ist wieder breit gefächert und sogar teilweise konsensfähig. Es wäre auch ohne die Strokes so gekommen, aber eine Band muss nun mal zur rechten Zeit am rechten Ort das Richtige tun. Viel mehr haben Joy Division oder Nirvana auch nicht vollbracht.

J. Casablancas lebt noch, er ist verheiratet und schaut sich gerne Baseball-Spiele an. Es heißt zwar, die Strokes würden Anfang 2008 eine neue Platte aufnehmen. Aber allzu motiviert scheinen sie nicht mehr zu sein. Das macht auch gar nichts. Auch wenn sie halbwegs in Vergessenheit geraten sind - The Strokes haben ihre Schuldigkeit getan. Ihnen gebühren horrende Tantiemen, glückliche Familien - und sicher das eine oder andere Plätzchen auf Nostalgiesamplern, die irgendwann über dieses Jahrzehnt zusammengestellt werden.