Mittwoch, 15. Oktober 2008

Jakob Dylan live: Träumen oder Einschlafen

Jakob Dylans Stimme klingt stark nach Bruce Springsteen. Doch bevor jemand hastig einen Vaterschaftstest fordert – äußerlich hat der 38-Jährige durchaus starke Ähnlichkeit mit Vater Bob. Was wiederum auf seine Musik nur bedingt zutrifft. Die präsentierte er am Dienstag vor rund 200 Fans in der Kulturkirche.

Traumhaft schön oder zum Einschlafen langweilig – das war wohl die Frage des Abends: Die große Mehrheit sprach sich letztlich pro Dylan aus, bejubelte jeden Gitarrenakkord des Sängers und feierte jedes „Thank you" aus dem Mund des Dylan-Sohnes wie eine Liebesbekundung. Die Minderheit aalte sich derweilen auf den Gebetsbänken im nicht einmal halb vollen Kirchenschiff und rang mit der Müdigkeit.

Musikalisch hat der ehemalige „Wallflowers"-Sänger das Rad sicher nicht neu erfunden. Die Stücke seines Soloalbums „Seeing things" gleichen sich stark und bewegen sich alle im überschaubaren Spielraum leicht Country-beeinflusster Singer-Songwriter-Nummern, die mit wenigen Akkorden, Harmonien und auch sonst völlig unprätentiös daher kommen. Einprägsame Refrains wie bei „Evil is alive and well" oder „Everybody pays as they go" sind selten, und von großen Gesten scheint Dylan wenig zu halten.

Mit seiner Begleitband, den „Gold Mountain Rebels", die aus Audley Freed an der (Twang-)Gitarre, George Reiff am Bass und Fred Eltringham am Schlagzeug besteht, kreiert Jakob Dylan eine Klangteppich, auf dem sich seine wirklich beeindruckende Stimme in aller Ruhe ausbreiten kann. Es ist eine Stimme, um die ihn sein Vater sicher beneidet: Sie hat das leicht Reibeisenartige eines Bruce Springsteen und umschmeichelt den Hörer zuweilen wie ein Marc Cohn und in starken Momenten glaubt man, Chris Rea heraus zu hören.

Es ist diese Stimme, zusammen mit Dylans anfangs spröden, dann immer warmherzigeren Art, die den Großteil seines Publikums sanft durch den Abend wiegt. Die etwas Sehnsucht vermittelt, aber nie zu viel, und den Hörer im nächsten Moment wieder ins traute Heim geleitet. Dort ist es wohlig-warm und gemütlich, auf dem Herd kocht Teewasser. Und beim Blick in den Kamin träumen die einen - und die anderen schlafen ein.

Camille ist zu betrunken für Sex

Camille ist zu betrunken für Sex. 800 Kölnerinnen und Kölner im Gloria-Theater scheint es ähnlich zu gehen, wie ein Mantra wiederholen sie die Zeilen „Too drunk to fuck". Plötzlich verschwindet Camille von der Bühne, taucht Sekunden später im Publikum auf und spritzt ihre Fans mit Whisky nass. „Vielleicht doch nicht...", sagt sie verschmitzt.

Es waren Szenen wie diese, mit denen sich die französische Sängerin in Köln verewigt hat. Wer ein seichtes Pop-Konzert mit zuckersüßem Akzent erwartet hatte, bekam jedenfalls im wahrsten Sinne den Kopf gewaschen – mit Whisky.

Dabei ist es eigentlich das musikalische Phänomen Camille, das wohl für die meisten ihrer Fans ihre Anziehungskraft ausmacht: Denn in ihrer Musik gibt es kaum (echte) Instrumente – fast alle Beats, Basslinien, Streicher, Keyboards, ja sogar Samples produziert ihr siebenköpfiges Ensemble mit den eigenen Körpern.

„Body Percussion" nennen sie diese körperliche Klangerzeugung: Zwei Sängerinnen und zwei Tänzer sind ständig in Bewegung, stampfen rhythmisch auf den Bühnenboden, klopfen sich auf Brust, Beine und dauernd in die Hände. Dazu sorgen zwei sehr beeindruckende Beatbox-Spezialisten fachmännisch für täuschend echte Dancefloor-Beats. Nur ab und zu mischt eine Pianistin „klassische" Klänge bei.

Und Camille singt nicht nur – sie ist Soul-Lady, Punk-Göre, Disco-Diva und nur scheinbar die Pop-Sängerin mit dem süßen Akzent – die jeden Moment explodieren kann, wild kreischend zum Derwisch wird. Sie tanzt fast ununterbrochen, läuft minutenlang im Kreis, bis ihr schwindlig wird, lässt ihre Fans bei „Cats & Dogs" bellen und miauen

Betrachtet man ihre Musik isoliert – was bei all den Show-Effekten kaum möglich ist – so bietet sie hochwertigen, sehr differenzierten Disco-Pop mit treibenden, oft auch vertrackten Grooves („Gospel With No Lord"), theatralisch anmutende Musical-Kompositionen (den Song „Le Festin" steuerte sie zum „Ratatouille"-Soundtrack bei) und bewegende, unorthodox arrangierte Balladen wie „La jeune fille aux cheveux blancs". Aber auch Punk-Coverstücke wie eben „Too drunk to fuck" bekommen in dieser Konstellation ganz neuen Reiz.

Mit ihrer energiegeladenen Show rief Camille im randvollen Gloria-Theater wahre Begeisterungsstürme hervor. Im Vorprogramm hatte bereits die junge Schweizer Pianistin Sophie Hunger mit ihren filigranen, intelligenten Balladen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Übrigens...

Hallo Hallo,
es könnte sein, dass sich die Konzertkritiken in nächster Zeit deutlich mehren...das liegt nämlich daran, dass ich in Köln einen Laden gefunden habe, der mich dafür bezahlt, auf Konzerten herum zu stehen, ein auf zwei Bier zu trinken und anschließend Bericht zu erstatten. Die Kollegen legen allerdings - glaube ich - etwas Wert auf Seriösität, so dass ich nicht immer ganz deutlich werden darf und mir auch meine berüchtigten Anekdötchen und mentale Hakenschlagerei verkneifen muss. So geschehen auch im Fall des Lemonheads-Textes.

Aber wer will da schon meckern!

Also wenigstens passt hier mal wieder was. Und die Millionen Klicks auf meiner Seite haben endlich wieder einen Sinn.

Also vielleicht trifft man sich ja demnächst mal bei Peter Maffay, Brings oder Avril Lavigne -
Bis dahin!

Montag, 6. Oktober 2008

Evan Dando sieht alt aus

Er möge ihn bitte nicht aus der ersten Reihe fotografieren, wird der Fotograf angehalten. Evan Dando, der Sänger der Lemonheads, hält wenig von Nahaufnahmen – vielleicht weil sie die Spuren zeigen würden, die jahrelange Alkohol- und Drogeneskapaden im Gesicht des 41-Jährigen hinterlassen haben. Lieber lässt Dando seine zeitlos frischen Indie-Pop-Hits als Erinnerung zurück.

Sie ist älter geworden, die Klasse von 1992, doch ihr Soundtrack scheint ewig jung zu bleiben: „It’s a shame about Ray“ hieß die Indie-Platte des Jahres, und mit ihr wurden The Lemonheads aus Boston zu den Helden beinahe jeden Oberstufenparty-DJ’s. Ihre ungestüme Coverversion von Simon & Garfunkels „Mrs. Robinson“ schaffte es sogar in so manches Bierzelt.

Evan Dando hingegen scheint sich – aus der Distanz – kaum verändert zu haben: Noch immer hängt ihm die Matte auf die Schultern, wirkt er wie der ewige Grunge-Jünger. Noch immer spielt er mit seinen - zwischenzeitlich aufgelösten, mehrfach umformierten und vor zwei Jahren ins Leben zurück geholten – Lemonheads die Stücke von „It’s a shame about Ray“, und es klingt sogar beinahe wie damals.

So auch im Gebäude 9, wo die gut 300 Fans am Freitagabend sich zu einer Art Klassentreffen mit Live-Band zusammengefunden haben: Sie bekommen all die Hits, „Rudderless“, „Drug Buddy“ und „Alison’s starting to happen“ etwa. Nachdem „It’s a shame about Ray“ fast komplett und in der Original-Reihenfolge abgehandelt ist, spielt Dando einige Stücke solo. Schließlich gibt die Band, zu der außer Dando diesmal der Bassist Vess Ruhtenberg und Drummer Devon Ashley gehören, eine Art Insider-Best-of aus der Zeit nach 1992 zum Besten: Stücke wie „Down about it“ oder „Tenderfoot“ werden begeistert aufgenommen. Das Publikum wirkt fasziniert, zwischen den Stücken wird anerkennend applaudiert und zuweilen andächtig geschwiegen.

Lustlos heruntergerasselte Stücke
Der Mann im Mittelpunkt jedoch wirkt müde. Zwischen den lustlos heruntergerasselten Stücken kaum ein Wort zum Publikum, sichtbare Mühe bei den Gitarrensoli und seine in den Höhen ersterbende Stimme sprechen für sich. Die Drogenhistorie, die er auch in Stücken wie „Hospital“ und „Style“ ehrlich thematisiert, hat Spuren hinterlassen in Dandos Gesicht und Gestik. Der Sänger wirkt zeitweise wie ein alter Mann.


Ihr selbstbetiteltes jüngstes Album (2006) fiel fast gänzlich unter den Tisch – stattdessen große Nostalgie und keine Nahaufnahmen: Evan Dando scheint die Spuren seiner jüngeren Vergangenheit verwischen zu wollen. Wirklich gelungen ist es ihm nicht.



Kleine Fußnote: In der englischen Wikipedia steht dies geschrieben: "On 23rd April 2008 at the inaugural NME US Awards ceremony at the El Rey in Los Angeles, Dando received the classic album award for It's A Shame About Ray, and also performed My Drug Buddy and the album's title track acoustically. According to reports, soon after receiving the award, Dando deposited it into a garbage can, telling a minder "I don't want this".