Mittwoch, 15. April 2009

The Notwist: Was macht Console?

The Notwist im E-Werk zu Köln, 14.04.2009 (für Kölnische Rundschau)

The Notwist stehen im gleißend blauen Licht auf der Bühne des E-Werks, doch man könnte sie glatt übersehen, so unscheinbar wirken die fünf Oberbayern. Wäre da nicht dieser große schlaksige Typ am linken Bühnenrand: Auf schlackernden Knien wippt er rhythmisch vor sich hin, schüttelt seine wallende Lockenpracht und fuchtelt mit zwei Steuergeräten für eine Nintendo Wii herum. Was tut er da?

Eine Antwort auf diese Frage blieb Martin Gretschmann alias "Console" am Dienstagabend schuldig. Seine Band jedoch stellte klar, dass sie in einer Liga mit den Kollegen von Radiohead agiert. Ihren 2000 Fans im ausverkauften E-Werk bescherten die einstmaligen Provinzler eine Odyssee, die von Indie-Rock über Lärmorgien, Jazz, Electronica, House, Funk und Dub Reggae reichte. Nur einen roten Faden gab es: Den schüchtern säuselnden Gesang und die butterweichen Melodien Markus Achers, bei allem Beiwerk seit jeher das Erkennungsmerkmal der Band.

Keine großen Gesten, kein Pathos, wenig Worte. Stattdessen Hits wie "Good Lies" und "Pilot", zarte Popmelodien neben eklektischer Avantgarde. Und ein eindeutiges Fazit: Das war einer der größten Konzertabende des Jahres.

Dienstag, 7. April 2009

The Virgins: Donald Cumming will Spaß

The Virgins im Gebäude 9, 07.04.2009 (für Kölnische Rundschau)

Man könnte glauben, auf einer Motto-Party gelandet zu sein. Knallenge Jeans, Jennifer Grey-Gedächtnis-Dauerwellen, riesige Brillen, gepunktete Minnie Mouse-Kleidchen und hartnäckig gegeelte Schnittlauchlocken werden im Gebäude 9 zur Schau getragen. Doch dies ist keine dieser typischen 80er-Partys und die meisten der Anwesenden haben das Jahrzehnt auch bestenfalls in der Wiege erlebt. Dies ist das Konzert der zurzeit angesagtesten Newcomer aus New York: „The Virgins“ haben die Zeit um 1980 zwar auch nicht selbst miterlebt, wissen aber sehr gut, welche Musik gespielt wurde.


Donald Cumming stakst ungelenk und wie elektrisiert auf der Bühne herum, bewegt sich wie ein Roboter, joggt auf der Stelle und legt dann kess die Hände in die Hüften. Er trägt einen dunklen Overall mit Hemdkragen, unter dem ein weißes T-Shirt hervorlugt. Die Ärmel hat er hochgekrempelt, an seinem Handgelenk baumelt ein Goldkettchen. Er singt über „Teen Lover“ und teure Mädchen und seine exzentrische, nasale Stimme klingt wie eine Mischung aus David Byrne und Joey Ramone.

Dass „The Virgins“ nach „The Strokes“ das nächste große Ding aus New York sein sollen, hat sich in Köln noch nicht so ganz herumgesprochen. Gerade mal 250 Fans sind nach Deutz gekommen, um Cumming und Kollegen live zu sehen. Wer nicht selbst im stilechten Endsiebziger respektive Frühachtziger-Look aufläuft, sympathisiert zumindest mit dem Sound dieser Ära, mit Disco, New Wave, Funk und Post-Punk. Genau das haben „The Virgins“ zu bieten: Auf ihrem selbstbetitelten Debütalbum vereinigen sie beinahe alle um 1980 populären Stilrichtungen, klingen dabei mal nach den Talking Heads, mal nach AC/DC, mal nach KC & The Sunshine Band.

Was auf Platte zuweilen ein wenig gekünstelt klingt, entfaltet im Gebäude 9 seine volle, partytaugliche Wirkung: Ihren Insider-Hits wie „Rich Girls“ und „Private Affair“ verpasst die Band live dermaßen viel Groove und Energie, dass die Luft brennt. Die drahtigen Funk-Riffs kommen messerscharf. Bass und Schlagzeug – auf dem Album mit Weichspüler-Sound – lassen funky und erdig das Mauerwerk des Gebäudes erbeben. Dazu Cumming als engagierter Vorturner, „catchy“ Refrains und zum Schluss eine dermaßen druckvolle Coverversion von INXS’s „Devil Inside“, dass die Australier vor Neid erblassen würden. Nach 45 Minuten ist leider schon alles vorbei, „The Virgins“ haben nun mal erst ein Album.

Was das Tourmanagement geritten hat, ausgerechnet das witzlose Saarbrückener Duo Pretty Lightning im Vorprogramm spielen zu lassen, wird wohl ihr Geheimnis bleiben. Deren ausdrucksloser „White Stripes“-Abklatsch jedenfalls war auf dieser 80er-Party völlig deplatziert.

Freitag, 3. April 2009

Niels Frevert: Du sollst nicht in der Kirche klatschen

"Ihr seid so toll", sagt Niels Frevert ein wenig schüchtern in sein Mikro. Die Reaktion des Publikums in der Nippeser Kulturkirche: Gespenstische Stille. Kein Jubel, kein Klatschen, nichts. Bis sich einer erbarmt: "Du auch!" ruft er in Richtung Bühne -- und spricht aus, was die übrigen 450 im randvollen Kirchenschiff wohl wenigstens gedacht haben müssen.

Vielleicht lag es an den Gebetsbänken, auf denen die meisten seiner Fans Platz nehmen mussten, und die zu zeitweise andächtigem Schweigen verleiteten. Aber nach seinem Gastspiel in der Kulturkiche ist auch klar: Als "Superstar"-Aspirant würde Niels Frevert gnadenlos durchfallen. Zu bescheiden und ja, einfach normal trat der Sänger auf, um große Jubelstürme zu provozieren.

Zum Glück, will man ergänzen. Denn, auch das zeigte sich am Freitagabend: Freverts poetische Kleinode benötigen kein Show-Getöse und kein Animationsprogramm, um ihre Wirkung zu entfalten. Dass der Hamburger Sänger sie mit kompletter Band und Streichquartett auf die Bühne brachte, reichte völlig aus, um sein Publikum in der randvollen Kulturkirche wenigstens innerlich zu begeistern.

In Freverts Songlyrik schwingt Melancholie mit, die nie in Kitsch abgleitet. "Du kannst mich an der Ecke rauslassen", heißt sein jüngstes, drittes Soloalbum. Und so wie der Titelsong das Thema Trennung behandelt, verwendet Frevert auch in vielen anderen Stücken unorthodoxe Metaphern. Er singt von "Kakerlaken in deinen Cornflakes", von beschlagenen Brillengläsern und umspielt ganz unspektakulär jede sich aufdrängende Betroffenheit. Selbst die grandios (von Easy Listening-Legende Werner Becker) arrangierten Streicher kann er sich erlauben, ohne in Klischees zu verfallen.

Den alten "Nationalgalerie"-Superhit "Evelyn" verkniff sich Frevert in Köln. Stattdessen gab er eine leise Interpretation aus den "schlimmen Neunzigern" von Udo Lindenbergs "Ein Herz kann man nicht reparieren". So unspektakulär und bescheiden Frevert sich auf der Bühne gab, so groß und für sich standen seine Stücke. Und für die -- nicht für seine Show -- gab es letztlich dann auch die verdienten Jubelstürme.