Donnerstag, 9. September 2010

Sukilove

Serie "Aachen Szene" für Aachener Nachrichten; erschienen am 9.9.2010

Belgien ist ein kleines Land, doch die hiesige Indie-Szene groß und vielfältig. Das beweisen Bands wie Sukilove: Das Quartett aus Antwerpen braucht sich hinter großen Nummern wie Radiohead oder dEUS jedenfalls nicht zu verstecken. Morgen beschallen Sukilove den Musikbunker mit „körnigen Melodien und angenehmen Misstönen“.

Es ist schon erstaunlich, wie eine solche Band so lange ein Geheimtipp bleiben konnte: Seit Anfang des Jahrtausends sind Sukilove bereits am Werk, haben vier Alben und mehrere EPs veröffentlicht und ihre Klasse von Jahr zu Jahr gesteigert. Vielleicht liegt es daran, dass die Antwerpener noch immer im Schatten von dEUS stehen, den mächtigen Indie-Dinosauriern, die bereits seit Mitte der Neunziger auch außerhalb der Fritten-Hochburg für Furore sorgen.

Vielleicht bedurfte es ihres vierten Albums „Static Moves“ aus dem vergangenen Jahr, damit Sukilove aus dem Schatten treten konnten: Die Platte mit dem programmatisch widersprüchlichen Titel stellt die ganze Bandbreite der Antwerpener unter Beweis und festigt gleichzeitig ihren ganz eigenen Stil, den sie selbst als „technicolor popnoise“ bezeichnen. Ein farbenfrohes Etikett, das dem Inhalt jedoch nur ansatzweise gerecht wird.

Sukilove zeichen sich gewissermaßen durch eine stimmige Zerrissenheit aus: Fluffige Sechziger-Beats treffen auf schwerwiegende Melancholie; in ihren großen, verhallten Räumen breitet sich Klaustrophobie aus. Da wird auf Pianos geklimpert, da verspricht die Akustikgitarre einen schönen Morgen und es wird elfengleich geträllert – bis alles plötzlich und unerwartet gebrochen wird. E-Gitarren sägen sich dissonant durch’s Idyll und lyrisch wird der Blick in den Abgrund gerichtet: „We’re all meat waiting to die“, singt Bandleader Pascal Deweze in „Fear“.

Wer solchen Ausblicken standhält und derlei Kontrasten etwas abgewinnen kann, wird bei Sukilove durchweg belohnt: Schönste Melancholie, die zuweilen an Radiohead erinnert, organisiertes Chaos im Stile von dEUS, Hippie-Sequenzen wie bei Pink Floyd, Elegien wie bei The Cure – Sukilove erweitern ihre Palette mit jedem Stück. Dass sie dabei keineswegs Kopisten und letztlich einzigartig sind, zeichnet sie aus.

„Aufrichtigkeit, Integrität und Qualität“ – diese Attribute bescheinigt das Label von Sukilove seinen Angestellten. Das klingt zwar mehr nach Arbeitszeugnis als nach Bandinfo. Gemeint sein könnten damit jedoch insbesondere die Live-Qualitäten der Belgier. Von denen kann sich der geneigte Indie-Fan am Freitag im Musikbunker aber auch selbst ein Bild machen.

Donnerstag, 2. September 2010

Astronautalis

Serie "Aachen Szene" für Aachener Nachrichten; erschienen am 2.9.2010

Der Mann nennt sich Astronautalis und fühlt sich zwischen den Welten offenbar besonders wohl: Am Samstag gastiert ein musikalischer Tausendsassa aus den Staaten im Autonomen Zentrum, der Elemente aus HipHop, Independent und verschrobenem Rock zu einer überaus spannenden Melange verschmilzt.

1994 geriet ein Kerl weltweit in die Charts, der sich selbst als „Loser“ bezeichnete und doch mit seinem schrägen Mix aus Lofi-Pop, HipHop und Folk extrem erfolgreich sein sollte: Die Rede ist von Beck Hansen, der mit seiner wahnwitzigen Crossover-Philosophie Musikgeschichte geschrieben hat. Über Astronautalis heißt es nun, er klinge, „als ob Beck ein Jahrzehnt später geboren worden und noch stärker von HipHop beeinflusst sei“. Das kann man durchaus so stehen lassen.

Andy Bothwell, wie Astronautalis mit bürgerlichem Namen heißt, wuchs in Florida auf und ist eigentlich ein begnadeter Rapper. Schon zu Schulzeiten legte er sich seinen Künstlernamen zu und verschuf sich großen Respekt als Freestyler: Bei sogenannten „Battles“ trat er gegen andere Rapper an, und reimte aus dem Stehgreif das verrückteste oder wahlweise cleverste Zeug ins Mikro.

Das hätte durchaus so weiter gehen können, Astronautalis wären als Freestyle-Held Ruhm und Ehre sicher gewesen – doch Bothwell schlug seinen Fans zum ersten Mal einen Haken. 2003 veröffentlichte er mit Hilfe verschiedener Gastmusiker sein Debütalbum „You And Yer Good Ideas“, auf dem er kurzerhand sein eigenes Sound-Universum erschuf: Funky Grooves, Synthesizer-Orgien, Elektro-Beats, Slide-Gitarren und Rap-Gesang kamen da zu einer skurrilen Symbiose zusammen und verlangten bodenständigen Szenevertretern einiges ab: Den HipHoppern war das zu melodisch und zu verspielt, den Alternativen zu elektronisch und HipHop-lastig. Als der Amerikaner auf seinem zweiten Album „The Mighty Ocean And Nine Dark Theaters“ (2006) dann auch noch Shoegazer-Rock in seine Stücke einfließen ließ, war die Verwirrung komplett.

Glücklicherweise eroberte Astronautalis jedoch ganz andere Hörerschaften, die von seinen wahnwitzigen Gratwanderungen gar nicht genug bekommen konnten. Darüber hinaus machte der Künstler mit seinen extrem unterhaltsamen Live-Performances auf sich aufmerksam, die weit mehr als nur Konzert sind: Bothwell streut Comedy-Elemente und minutenlange Freestyle-Einlagen ein und verleiht seinen Stücken völlig unerwartete Wendungen.

Es gibt in der Tat wenige Künstler, die mit Astronautalis vergleichbar wären. Beck, der sich jedoch seit Anfang den Neunzigern selbst noch zigmal neu erfunden hat, könnte man vielleicht nennen. Ein ganz klein wenig erinnert Astronautalis manchmal an die Folk-Hopper von Why?, aber die kennen auch nur wenige. Grund genug also, sich selbst einen Eindruck zu verschaffen: Astronautalis landet am Samstag um 21 Uhr im Autonomen Zentrum, Vereinsstraße. Mit von der Partie ist die Oldschool Hardcore-Truppe No Turning Back.

Donnerstag, 26. August 2010

Pandora

Serie "Aachen Szene" für Aachener Nachrichten; erschienen am 26.8.2010

Grunge ist tot, es lebe Grunge: Das Eupen-Aachener Trio Pandora klingt nicht nur ein wenig nach Nirvana & Co. - in einer Zeit von gecasteten Popstars und sinnfreiem Unterhaltungs-Trash haben die drei erfreulicherweise auch einiges zu sagen. Am morgigen Freitag rocken Pandora den Musikbunker.

So langsam ist Annie es ein wenig leid, immer wieder auf Nirvana angesprochen zu werden. Sicher, das sei „eher ein Kompliment als eine Beleidigung“, sagt die Sängerin von Pandora. Natürlich habe die legendäre Grunge-Combo aus Seattle sie beeinflusst, aber ihre Band verfolge durchaus einen eigenen Weg. Und der führe keinesfalls in die Vergangenheit. Zudem überzeugten Pandora mit ihren eigenen Stücken und nicht mit Coverversionen angestaubter Grunge-Hits.

Die Eupenerin ist 22 Jahre jung. Als Kurt Cobain seinem Leben 1994 ein Ende setzte und die ursprüngliche Grunge-Idee mit ihm starb, war sie noch ein kleines Kind. Vielleicht ist ihr deswegen nicht ganz klar, warum ihre Fans aus der „Ü 30“-Zielgruppe ihr ständig diese ollen Kamellen auftischen: Die Trio-Besetzung, die Popsongs im wütenden, rotzigen Soundgewand, die raue Stimme, die schlabbrigen Grunge-Klamotten, ja sogar ihre Linkshänder-Gitarre rufen bei reiferen Hörern unweigerlich die alten Bilder ins Gedächtnis. Und viele der Stücke auf Pandoras Debütalbum „Melancholic Freedom“ klingen, als hätten Kurt und Gattin Courtney Love damals auch musikalisch zusammengefunden.

Doch genug von der Vergangenheit: Mit der Ähnlichkeit müssen und können Annie, ihre Schwester Mia (Bass) und Schlagzeuger Roman wohl leben. Dass Pandora weit mehr als bloß Trittbrettfahrer sind und auf jeden Fall ins Jahr 2010 gehören, liegt daran, dass sie etwas zu sagen haben, Botschaften, die an ihre Zeitgenossen gerichtet sind – und sei es zuweilen auch der resolut aufgerichtete Stinkefinger.

„In meinen Texten geht es zu einem großen Anteil um Protest“, erklärt Annie. „Die grundlegenden Fehler im System“ spricht sie an, Umstände, die dazu führen, dass die Jugendlichen von heute einem enormen Leistungs- und Erwartungsdruck ausgesetzt seien. Auch die Übermacht der Unterhaltungsindustrie sieht Annie als Übel an, „dieses gigantische Theater“ sei der Grund für die Oberflächlichkeit und das politische Desinteresse vieler Altersgenossen: Sie sehe „eine Herde, die komplett in die falsche Richtung läuft“, sagt die Sängerin. Es gebe einfach kein „Existenzbewusstsein“ mehr, die Menschen seien zu überfüttert mit Eindrücken von außen, um sich ernsthaft eigene Gedanken zu machen.

Es sind solche Aussagen, die aufhorchen lassen: Endlich stehen wieder junge Musiker mit Idealen auf einer Bühne, haben Erfolg mit Inhalten, widersprechen dem Image einer saturierten, ideenlosen und angepassten jungen Generation. Und das laut und deutlich.

Dass Pandora mehr als eine weitere Rock-Eintagsfliege sind, ist mittlerweile nicht nur in der Euregio bekannt: Mit ihrem Debütalbum, das im Januar auf dem kleinen Aachener Label Xochipilli Records erschien, sorgte das Trio europaweit und sogar in den USA für Furore. Über 150 Konzerte in ganz Europa haben Pandora jetzt gespielt, darunter Gigs auf großen Festivals wie dem Pukkelpop und als Vorband von Punklegenden wie den US Bombs und The Germs.

Am Freitag rocken Pandora einmal mehr den Musikbunker, Rehmannstraße, wo sie auch ihr neues Musikvideo vorstellen, das sie gerade in Rom produziert haben. Voraussichtlich wird es genauso rammelvoll werden wie bei ihrem letzten Konzert im Januar. Man darf gespannt sein, was die Zukunft Pandora sonst noch beschert.

Donnerstag, 19. August 2010

Streetlight Manifesto

Serie "Aachen Szene" für Aachener Nachrichten; erschienen am 19.8.2010

Wie wäre es heute Abend mit einem etwas anderen Fitnessprogramm im Musikbunker? Dort stehen zwar keine Aerobic-Damen im Leibchen, sondern die sieben Kerle von Streetlight Manifesto auf der Bühne – doch die dürften mit ihrem Hochgeschwindigkeitsmix aus Punk, Ska und Weltmusik-Stilen für ein schweißtreibendes Programm sorgen.

Wollte man die Musik des Septetts aus New Jersey mit einem Wort beschreiben, müsste dies wohl zwangsläufig lauten: zackig. Sicher, da sind Punkrock und Ska mit im Spiel, Spielarten also, die ja per se eher schnell von der Hand gehen. Aber wer genau hinhört, entdeckt eben auch Klezmer, Latinrhythmen, Funk- und Jazzeinflüsse und sogar hier und da ein Fünkchen Klassik. Das alles ist jedoch dermaßen verquirlt, dass der eine oder andere schon beim bloßen Hinhören aus der Puste kommt. Wer dazu tanzen will, sollte schon eine beachtliche Kondition mitbringen.

Streetlight Manifesto sind eine dieser postmodernen Bands, die alles in einen Mixer werfen, was ihnen gefällt und daraus einen ziemlich starken Cocktail mit ordentlich Umdrehungen kredenzen. Dass das Ergebnis dennoch überaus bekömmlich ist, liegt sicher daran, dass alle Mitwirkenden ihr Handwerk exzellent beherrschen und in der Feinabstimmung der Zutaten echtes Können beweisen. Allen voran gilt das wohl für Sänger und Gitarrist Thomas Kalnoky, dereinst Frontmann der Skapunk-Legende Catch 22, die der Szene schon in den Neunzigern massig Ohrwürmer hinterlassen hat.

Charakteristisch für den Sound von Streetlight Manifesto ist neben der stilistischen Vielfalt der ausgeprägte Hang zu eingängigen Melodien: Das gilt sowohl für den Gesang und die Refrains als auch für die schmissigen Bläserlinien der Truppe: Gleich vier der sieben Musiker machen sich an Saxophonen, Posaunen und Trompeten zu schaffen und sorgen ein ums andere Mal für ohrwurmverdächtige Einlagen. Insofern ist das Septett Vorgängertruppen wie den Mad Caddies nicht ganz unähnlich. Man könnte auch sagen, sie klingen ein bisschen nach einer Neo Swing-Combo, die ins Punkrock-Fass gefallen ist – oder umgekehrt.

Dabei sollte es eigentlich gar nicht so weit kommen: Ursprünglich hatten sich die Musiker um Thomas Kalnoky 2002 getroffen, um gemeinsam ein Album einzuspielen – und dann wieder ihrer Wege zu ziehen. Doch nach „Everything Goes Numb“ (2003) nahm die Truppe auf einmal Fahrt auf: Ausverkaufte Konzerte, eine rasant wachsende Fangemeinde und schließlich das Zweitwerk „Keasbey Nights“ (2006) ließen die Idee von einem Nebenprojekt schnell in Vergessenheit geraten.

„Somewhere In The Between“ (2007) etablierte die Band endgültig auf den Bühnen vieler großen Festivals. 2009 beteiligten sich Streetlight Manifesto an dem Sampler „99 Songs of Revolution“, wo man sich neben Szenegrößen wie NOFX und den Squirrel Nut Zippers, aber auch großen Namen wie Radiohead und Paul Simon in illustrer Gesellschaft wiederfand.

Heute Abend machen Streetlight Manifesto im Musikbunker, Rehmannstraße, Station. Ab 20.30 ist zudem Dan Potthast mit von der Partie. Handtuch und Ersatz-T-Shirt nicht vergessen.

Donnerstag, 12. August 2010

The Slackers

Serie "Aachen Szene" für Aachener Nachrichten; erschienen am 12.8.2010

Ska, Rock’n’Roll, Reggae, Soul, Jazz und eine Prise Punk: Was unvereinbar klingen mag, bringen The Slackers aus New York nun schon seit beinahe 20 Jahren erfolgreich unter einen Hut – und nennen das Ergebnis ebenso einfach wie treffend „Jamaican Rock’n’Roll“. Morgen gastiert das Sextett, das in Aachen eine große Fangemeinde hat, im Musikbunker.

Es könnte sein, dass die Band um Bandleader Vic Ruggiero sich langsam in Aachen auskennt: Vor über zehn Jahren gastierten sie erstmals im Autonomen Zentrum und seitdem kommen sie in schöner Regelmäßigkeit zu Besuch. Im Jakobshof haben sie mittlerweile gespielt und den Musikbunker, in dem sie morgen wieder auftreten, kennen sie auch schon von innen. Der Grund liegt auf der Hand: Die Band hat in der Kaiserstadt treue Fans – die sie mit immer neuen Gastspielen belohnt.

Doch was macht die Faszination der Combo aus, die nicht nur in Aachen, sondern weltweit ihre Anhänger begeistert? Vermutlich ist es das, was sie als ihre „musikalische Vision“ beschreiben: The Slackers bringen die traditionellen jamaikanischen Spielarten Ska, Rocksteady und Reggae in einen amerikanischen Kontext. Die Band lässt Elemente aus Rock’n’Roll, Soul, Rhythm’n’Blues und auch Jazz in ihre Stücke einfließen. Man müsse sich das vorstellen, „als ob die Stones oder die Yardbirds nicht nur mit Muddy Waters, sondern auch mit Bob Marley aufgewachsen“ seien, versuchen sie ihr Vorgehen zu erklären.

Vielleicht ist das auch der Grund, warum die Anhängerschaft der Slackers kaum bunter gemischt sein könnte: Rastas, Punks, Ska-Fans, Jazzfreunde und jede Menge Leute, die einfach nur Spaß haben wollen begegnen sich bei den Konzerten der New Yorker. Und alle bekommen, was sie wollen, von tanzbaren Ska-Hymnen über groovende R&B-Nummern bis hin zu fast meditativen Dub-Orgien mit improvisierten Soli. Das alles dargebracht mit einer Spielfreude und einem Groove, der vom ersten Ton an ansteckend ist.

Diesmal haben Sänger Vic Ruggiero, Saxophonist „Disco Dave“ Hillyard und die übrigen Slackers wieder ein neues Album im Gepäck: „The Great Rocksteady Swindle“ ist erst im Frühling erschienen und knüpft nahtlos an die gefeierten Vorgängerplatten an. Musikalisch vielfältig wie eh und je, überzeugt Ruggiero erneut mit mal persönlichen, mal politischen Texten, Ohrwurm-Melodien und feinstem New Yorker Akzent.

Wer Lust hat, seinen musikalischen Horizont mit einer ebenso unorthodoxen wie mitreißenden Mischung aus verschiedensten, traditionellen Stilen zu erweitern, dürfte also morgen ab 20.30 Uhr im Musikbunker gut aufgehoben sein. Da darf man dann auch das Kalenderblatt – es ist Freitag, der 13. – getrost vergessen.

Donnerstag, 5. August 2010

Böse Band

Serie "Aachen Szene" für Aachener Nachrichten; erschienen am 5.8.2010

Rock’n’Roll und Öcher Platt: Dafür steht seit fast 30 Jahren die Böse Band um den Sänger, Gitarristen und Namensgeber Dieter Böse. 2008 hat die Combo eine Art Neuanfang gewagt – und präsentiert am kommenden Samstag im Musikbunker in frischer Besetzung jede Menge brandneue Songs.

Was BAP für Köln ist, ist die Böse Band für Aachen: Bereits seit 1982 kredenzen Dieter Böse und seine Mitstreiter eigene Rock- und Popstücke mit Songtexten in Öcher Platt – und haben sich damit in der Kaiserstadt besonders in den Achtziger und Neunzigerjahren einen gewissen Kultstatus erspielt. Um die Jahrtausendewende jedoch wurde es still um das Quartett. Hauptgrund: Dieter Böse begann, wie er es heute nennt, „fremd zu gehen“ – und zwar mit seinem Projekt „Böse op d’r Bend“.

Auch dabei blieb er dem Öcher Platt treu: „Was die Höhner in Köln machten, machten wir in Aachen“, erinnert sich Dieter Böse. Und das mit Erfolg. Mit zahlreichen Auftritten wurde „Böse op d’r Band“ in Aachen einem großen Publikum bekannt. Dennoch zog es Böse zurück zur guten alten Rockmusik – und vor zwei Jahren war es so weit: Mit seiner Böse Band wagte er einen Neuanfang, mit neuen Musikern und komplett neuen Stücken.

„Rock’n’Pop Union“ nennen Böse und seine Bandkollegen Ralf K. Anders (Bass, Gitarre), Tom Jermar (Gitarre, Gesang, Bass) sowie Roland Brucker (Schlagzeug) das, was sie seit zwei Jahren auf die Bühnen der Euregio bringen. Wie das Etikett schon andeutet, ist die Böse Band heute gelegentlich ein wenig „poppiger“ als damals, Akustikgitarren kommen häufiger zum Einsatz – und eigenwillige Coverversionen, etwa von Marlene Dietrich, Heinz Rühmann und Udo Lindenberg.

Ein Bruch mit der musikalischen Vergangenheit der Band bedeutet die größere stilistische Offenheit jedoch keinesfalls: Noch immer schreibt und komponiert Dieter Böse alle Stücke, über die Hälfte davon singt er bis heute in Öcher Platt – und vor allem ist die Böse Band ihrem Credo treu geblieben, „aus Spaß an dr Freud“ Musik zu machen. Selbst wenn in den Songtexten zuweilen Gesellschaftskritik geäußert wird, „ein Augenzwinkern ist schon immer mit dabei“, sagt Böse.

Der Bandleader findet es „ein bisschen schade, dass fast nur noch die älteren Aachener die Mundart beherrschen“. Schließlich sei Öcher Platt gerade im Rock’n’Roll bestens aufgehoben, denn „Hochdeutsch ist doch relativ sperrig.“ Was man von den Stücken der Böse Band keineswegs behaupten kann: Die gehen noch immer rockig nach vorne, schnörkellos und direkt.

Wer sich selbst von den Qualitäten der Band überzeugen möchte, kann sie am kommenden Samstag ab 20 Uhr im Musikbunker, Rehmannstraße, erleben.

Donnerstag, 22. Juli 2010

Longing For Tomorrow

Serie "Aachen Szene" für Aachener Nachrichten; erschienen am 22.7.2010

Dass man mit deutschen Texten, noch dazu mit recht anspruchsvollen, auch in der weiten Welt Erfolg haben kann, beweist das Aachener Punkrock-Trio Longing for Tomorrow: Nach gefeierten Gastspielen in Brasilien und Russland geben die drei Jungs ihr 300. Konzert am kommenden Mittwoch in der Heimat.

Kurzer Auszug aus einem Songtext der drei Aachener: „Wer Ruhm begehrt, der schwimmt im Zweifel, kilometerweit und hat das Land nicht mehr in Sichte, nicht mal Konturen davon.“ Vielleicht hob Sänger und Gitarrist David Frings mal wieder in einem Flieger ab, als ihm diese durchaus lyrischen Verse einfielen. So viel ist jedenfalls klar: Die Songtexte von Longing for Tomorrow sind schon für deutsche Ohren starker Tobak.

Wie Brasilianer und Russen ihre lyrischen Kleinode interpretieren, wird wohl ihr Geheimnis bleiben. Sicher ist aber: Dieser Punkrock mit Indie-Einschlag kommt auch im Ausland bestens an, wie die Tourneen des Aachener Trios bewiesen haben. Und dass die Jungs hierzulande mächtig rocken, ist sowieso schon länger klar: Ihre kompakten, melodischen Punkrock-Nummern mit den ambitionierten Texten treffen anscheinend genau den Nerv der Zeit.

Aber von vorne: Longing for Tomorrow wurde 2003 von jungen Musikern aus dem Aachener Raum gegründet, wobei man - der Bandname lässt es erahnen - zunächst auf englische Lyrics setzte. 2006 erschien ihr Debütalbum „Structure from Clutter“, dicht gefolgt vom Zweitwerk „Beauty for the blinded eyes“, das noch im gleichen Jahr veröffentlicht wurde. Deutete sich hier der Ehrgeiz der Band schon an, bestätigte er sich in zahlreichen Konzerten in Clubs und auf Festivals.

2008 dann der Stilwechsel: Aus dem Quartett wird ein Trio, aus den englischen Texten werden deutsche, weil Sänger David sich endlich differenzierter ausdrücken will. Und das kommt an: Ihr drittes Album „Idee: Mensch“ (2009) schlägt im In- und Ausland ein. Die Platte wird in mehr als 70 Medien bewertet. „Ein wirkliches Meisterwerk an emotionaler Gitarrenmusik“, schreibt etwa das Ownblood Magazine. Anfragen aus fernen Ländern trudeln ein. Longing for Tomorrow geben gefeierte Konzerte erst in Brasilien, dann in Russland. Allein 2009 spielen die Aachener über 100 Konzerte.

Klar sei ihr Ziel, „so weit zu kommen, wie es geht“, erklärt Bassist Samuel Dickmeis. „Aber unser Antrieb ist, viel rum zu kommen, Leute kennen zu lernen und besser zu werden.“ Kommt man sich denn manchmal ein bisschen wie ein Rockstar vor, wenn man Tausende Kilometer von zu Hause ein großes Publikum in Wallung bringt? Samuel: „Na ja, einmal habe ich nach einer Show in Brasilien eine Stunde bis zur Toilette gebraucht, weil die Leute Autogramme und Fotos haben wollten – da war schon ein klein bisschen Rockstar-Feeling da…“

Das habe sich jedoch spätestens dann relativiert, als man bei anderer Gelegenheit „auf einem Gartenstuhl“ trommeln musste, weil der brasilianische Veranstalter kein Schlagzeug organisieren konnte. Nicht nur deswegen sind David, Samuel und Schlagzeuger Damian Altdorf auf dem Teppich geblieben. Und so spielen sie auch völlig selbstverständlich ihr 300. Konzert zu Hause in Aachen: Kommenden Mittwoch, 28. Juli, rocken Longing for Tomorrow ab 20 Uhr das Nightlife in der Wirichsbongradstraße.

Und danach: Das neue Album ist schon im Kasten und im September steht die nächste Brasilien-Tour auf dem Plan. Man darf also gespannt sein, wie weit die drei Jungs noch kommen.

Donnerstag, 15. Juli 2010

The Mighty Orq

Serie "Aachen Szene" für Aachener Nachrichten; erschienen am 15.7.2010

Als die Achtziger musikalisch zu Ende gingen, kamen die Siebziger wieder in Mode: Rock und Blues kamen zurück, Gitarrensoli durften sich wieder minutenlang hinziehen, Bart und Haupthaar durften wieder sprießen. Nach genau dieser Zeit Anfang der Neunziger klingt das texanische Trio The Mighty Orq, das am kommenden Dienstag im Malteserkeller gastiert.

Charakteristisch für die Achtziger war der kühle, synthetische Sound von Synthesizern und Drum-Maschinen gepaart mit einem durchgestylten Äußeren. Davon hatte man Ende des Jahrzehnts aber schon wieder genug: Amerikanische Bands wie die Black Crowes, Blind Melon oder die Spin Doctors waren Teil einer Gegenbewegung, die ihr Heil in der Authentizität der Siebzigerjahre suchte. Es wurde wieder gerockt, geschwitzt und ernsthaft Gitarre gespielt.

Das kann man auch über die drei Texaner von The Mighty Orq sagen, die 20 Jahre nach 1990 sozusagen das Revival des Revivals ausrufen: Southern Rock, Blues und spontane Jams sind die Eckpfeiler, die das selbsternannte „Power Trio“ lustvoll umspielt. Dazu ein funky Groove, virtuose Soli, eine Reibeisen-erprobte Stimme – und fertig ist das Retro-Programm von Mighty Orq (Gitarre, Gesang), Westside Johnny (Bass) und Matt R. Johnson (Schlagzeug, Gesang).

Der in Houston beheimateten Combo hört man ihre Herkunft definitiv an, auch wenn sie in den letzten Jahren wenig Zeit zu Hause verbracht haben dürfte: Mehr als 200 Konzerte stehen jährlich auf ihrem Tourplan und seit ihrem jüngsten Album „To the Bone“ ist die Nachfrage noch einmal deutlich gestiegen. In jenem Album steckt nicht nur das ganze Herzblut der Musiker, für ihr Opus haben die Texaner auch Opfer gebracht: Um die Platte im Studio von Ben Elliott, der schon Aufnahmen von Keith Richards, Eric Clapton und Sheryl Crow veredelte, aufnehmen zu können, versetzten sie fast ihr ganzes Hab und Gut und liehen sich Geld bei ihren Familien. Der Aufwand hat sich wohl gelohnt.

Auf Tour legen The Mighty Orq Wert darauf, jedes Konzert einzigartig zu gestalten: Keine Setlist wird zweimal gespielt und Stücke werden spontan neu interpretiert. Es bleibt immer Spielraum für Jams. Das soll auch am kommenden Dienstag, 20. Juli, um 21 Uhr im Malteserkeller so sein. Fans von handfestem Rock und Blues sollten sich das nicht entgehen lassen.

Donnerstag, 8. Juli 2010

Ulrike Haller und Sick Of It All...

Serie "Aachen Szene" für Aachener Nachrichten; erschienen am 8.7.2010

Feinsinniger Akustik-Pop von Ulrike Haller und Sohn Martin auf der einen, New York Hardcore von Sick of it all auf der anderen Seite: Unterschiedlicher, aber auch viel versprechender könnten die wichtigsten Konzerte in den nächsten Tagen kaum sein.

In der hiesigen Gypsy Swing-Szene ist Ulrike Haller schon lange kein unbeschriebenes Blatt mehr: Nicht nur an der Seite der renommierten Gitarristen Lulo Reinhardt und Birély Lagrène hat sich die Aachener Sängerin mit der klassischen Gesangsausbildung in den vergangenen Jahren einiges Ansehen verschafft. Mittlerweile erfreut sich Haller bei ihren Heimspielen in ihrem Stamm-Etablissement, dem Franz, einer wachsenden Fangemeinde.

Ebenda wagt sich Ulrike Haller nun mit ihrem 19-jährigen Sohn Martin auf die Bühne – und widmet sich erstmals einer ganz anderen Spielart: dem Akustik-Pop. Auf dem Programm stehen dabei überwiegend eigene Stücke, die sie mit ihrem Filius „gemeinsam am Küchentisch“ geschrieben und komponiert hat.

Mutter und Sohn gemeinsam auf einer Bühne? Es ist sicher keine alltägliche Kombination, die das Publikum am Freitagabend im Franz erwartet. Wie es dazu kam, erklärt Ulrike Haller so: Jeder habe zwar seine unterschiedlichen Einflüsse, „doch wir ergänzen uns inspirieren uns einfach musikalisch.“ Dabei spiele der Altersunterschied überhaupt keine Rolle.

Ob nun Jazz oder Pop – textlich bleibt sich Ulrike Haller auch in ihrem jüngsten Projekt treu: „Ich schreibe das, was ich fühle“, sagt sie, „und um dem Publikum etwas zu sagen.“ So handeln ihre Stücke meistens von der Liebe, denn das sei nun mal „die wichtigste Inspiration, die einem das Leben gibt.“

Die familiäre Kombination aus Erfahrung und Jugendlichkeit kann sich hören lassen: Ulrike Hallers geschulte und gleichsam eigentümliche wie berührende Stimme ergänzt sich in der Tat hervorragend mit den eingängigen Arrangements ihres blutjungen Sohnes Martin. Der Junior beweist ein beachtliches musikalisches Talent und die Sängerin stellt auf beeindruckende Weise ihre Vielseitigkeit unter Beweis.

Bei ihrem ersten gemeinsamen Auftritt setzen Haller und Haller übrigens auf namhafte Unterstützung: Mit von der Partie werden der bekannte Jazz-Percussionist Harald Ingenhag und der nicht minder renommierte australische Pianist Sean Mackenzie sein. Los geht es am Freitag um 20 Uhr.

Legenden des New York Hardcore
Von feinsinnigem Akustik-Pop zu aggressivem Hardcore mit ist es ein weiter Weg. Dennoch gehört das Gastspiel der New Yorker von Sick of it all gleichfalls zu den spannendsten Konzerten der nächsten Tage: Denn die Mitte der Achtzigerjahre in Queens gegründete Combo gilt als eine der wichtigsten noch aktiven Vertreter der Hardcore-Szene und schafft es, Anhänger der mittlerweile aufgesplitterten Bewegung unter ihrer Fahne zu vereinen.

Pünktlich zum 25-jährigen Jubiläum haben Sick of it all im April ihr nunmehr 17. Album veröffentlicht: Das „Based on a true story“ benannte Werk begeisterte nicht nur Kritiker und schaffte den Einzug in die deutschen Top-40 – es bewies vor allem eines: Auch nach einem Vierteljahrhundert Bandgeschichte sind die New Yorker Hardcore-Urgesteine kein bisschen leise und qualitativ kaum zu toppen. Und sie sind sich treu geblieben: Noch immer hauen Sick of it all wütende Hardcore-Hymnen raus, mit denen sie Fans der ersten Stunde und junge Hörer gleichermaßen begeistern.

Die Geschichte der Band begann 1985 in einem Proberaum in Queens. Bereits kurze Zeit später wurden Sick of it all zu gefeierten Lokalmatadoren im legendären New Yorker Punkschuppen CBGB’s. Ihren internationalen Durchbruch schaffte die Band 1992 mit ihrem Album „Just look around“, mit dem es ihnen gelang, auch Anhänger aus der Metal-Kurve mitzureißen. Nach dem Meilenstein „Scratch the Surface“ aus dem Jahr 1994 fanden sich Sick of it all schließlich neben Weltstars wie Rage against the Machine oder Aerosmith auf gigantischen Festivals wieder.

Trotz dieser Erfolge blieb die Combo sich selbst und der Szene treu, kollaborierte mit Artgenossen wie Napalm Death oder den Cro-Mags und tourte unermüdlich um die Welt. Ihr Legendenstatus in Hardcore-Kreisen verschaffte ihnen 2007 sogar ein Tribut-Album, auf dem sich namhafte Gruppen wie Hatebreed oder Sepultura an Coverversionen ihrer Stücke versuchten.

Für viele ist Sick of it all bis heute die Hardcore-Band schlechthin – und so kann man ihr Gastspiel im Musikbunker am heutigen Abend durchaus als eine Art Lehrstunde betrachten. Kaum eine aktive Hardcore-Combo hat so viele Nachahmer und Nachfahren in der Szene beeinflusst – und tut es noch.

Sick of it all spielen heute Abend im Musikbunker auf. Als Support sind ab 20 Uhr Ays & The Ice mit von der Partie.

Donnerstag, 1. Juli 2010

Laura Stevenson and the Cans

Serie "Aachen Szene" für Aachener Nachrichten; erschienen am 1.7.2010

Am kommenden Montag kehrt im Autonomen Zentrum Ruhe ein, vorübergehend zumindest. Der Grund: Laura Stevenson and the Cans sorgen mit feinsinnigem Indie Pop für das Kontrastprogramm in der Bunkeranlage, in der es sonst eher lautstark zugeht. Und die sonst so harten Jungs können endlich einmal ihre Freundinnen mitbringen.

Bevor hier ein Missverständnis entsteht: Laura Stevenson and the Cans können auch richtig rocken, es handelt sich schon um eine richtige Band mit Stromgitarren und Schlagzeug, und nicht wenige ihrer Stücke haben durchaus erdigen, schrammeligen Indie-Charakter. Dank ihrer überaus natürlichen, ungekünstelten Ausstrahlung sind Laura und ihre Jungs daher auch in Punk-Kreisen gern gesehene Gäste, wenn der Abend mal etwas entspannter angegangen werden will. Stevensons Mitwirkung in dem Punk-Kollektiv „Bomb the Music Industry“ tut in Sachen Subkultur-Integrität da wohl ihr Übriges.

Am überzeugendsten jedoch ist die 26-jährige Sängerin aus New York in der klassischen Singer-Songwriter-Pose: Wenn Stevenson sich selbst nur mit der Akustikgitarre begleitet, entfaltet ihre sanfte, natürliche Stimme ihre ganze Wirkung. Da dürfen dann auch schon mal Streicher ins Spiel kommen, ohne dass die Angelegenheit zu pathetisch wird. In solchen Momenten lässt sie mit ihrem mädchenhaften Timbre und ihren durchaus nicht immer fröhlichen Geschichten eine gewisse Intimität zu, die bewegt. Den einen oder anderen mag Stevenson mit solchen Stücken an die frühe Cat Power oder an Bon Iver erinnern.

Gemeinsam aktiv sind Laura Stevenson and the Cans erst seit gut drei Jahren, doch insbesondere in der amerikanischen Indie-Szene erlangten sie rasch Bekanntheit. 2009 schließlich stellte die Band nach diversen Singles ihr Debüt-Album mit dem schlichten Titel „A Record“ fertig und die folgende Tour führt sie nun erstmals auch nach Europa.

Wer angesichts des heißen Sommerwetters Lust hat, einen Abend im Bunker des AZ’s zu verbringen, auf dass ihm dort ein wenig warm ums Herz werde, dem seien Laura Stevenson and the Cans dringend empfohlen. Und nein, am kommenden Montag steht in Südafrika kein Spiel auf dem Plan. Los geht’s um 20 Uhr.

Donnerstag, 24. Juni 2010

Hack Mack Jackson und Electric Orange

Serie "Aachen Szene" für Aachener Nachrichten; erschienen am 24.6.2010

Frage: Was haben Countrymusik und Krautrock gemeinsam? Antwort: Nichts - außer vielleicht dem Umstand, dass die Anhänger beider Spielarten ausgemachte Nostalgiker sein müssen. Und mit den Konzerten von Hack Mack Jackson und Electric Orange bekommen sie dahingehend einiges geboten.

Es ist nun schon einige Jahre her, da erlebte die Countrymusik auch abseits deutscher Kuhställe einen eigentümlichen Boom: Der Komiker Olli Dittrich nahm mit seiner Countrytruppe Texas Lightning am Eurovision Song Contest teil und mit den Dirtfarmers hatte sogar die Kaiserstadt ihre lokalen Cowboyhutträger. Auf einmal entdeckten auch junge Leute die Partytauglichkeit von Country- und Westernmusik, zumindest solcher, die nicht so ganz bierernst rüber kam.

Als sich die Düsseldorfer von Hack Mack Jackson Ende der Neunziger gründeten, war der „Hype“ noch weit entfernt, aber man kann wohl sagen, dass sie mitgeholfen haben, die einst uramerikanische und tendenziell erzkonservative Musik hierzulande populär zu machen. Ihr Verdienst: Statt sich nur zwischen „Country“ und „Western“ zu entscheiden, warfen sie einfach alles in einen Cowboyhut, was ihnen an traditioneller, amerikanischer Landeier-Folklore gefiel. Das Ergebnis: Tanzbarer, zuweilen gar Pogo-tauglicher „Countrybillyswamprock“.

Sicher, so mancher Texaner würde wohl angesichts derlei respektlosen Mischmasch rot anlaufen unter seiner Hutkrempe. Da werden Country-Klischees gnadenlos durch den Kakao gezogen, Slidegitarren und Waschbretter geradezu punkig runter gerockt und laut eigener Aussage „Melodien aus der Mülltonne“ recycelt. Und dann noch diese Texte: „Ich bin Jesus und kann alles“, heißt ein Stück. An anderer Stelle wird die Punk-Hymne „Too drunk to fuck“ als Countrynummer ausgegeben. Und bei „Love is a horse“ trägt Sänger Drewson Jackson gar eine Pferdemaske auf dem Kopf.

Klingt nach einer Menge Spaß und ist es wohl auch. Genaueres erfährt der geneigte Konzertgänger dann am kommenden Samstag ab 21 Uhr im Hauptquartier, Promenadenstraße.

Kopfkino-Garantie im AZ
Eine völlig andere Zielgruppe sprechen die Aachener von Electric Orange an, die sich voll und ganz dem Krautrock der Siebzigerjahre verschrieben haben: Die Band um Dirk Jan Müller lädt weniger zum feuchtfröhlichen Tanzbeinschwingen denn zum andächtigen Lauschen mit Kopfkino-Garantie.

Krautrock aus Aachen? Da klingelt doch was: Ist das nicht die Domäne von Ruphus Zuphall um Bandleader Günther Krause? Es ist schon erstaunlich, dass Electric Orange, die sich bereits 1993 gründeten, in der Kaiserstadt noch vergleichsweise unbekannt sind. Das mag daran liegen, dass das Quartett grundsätzlich nur wenige Konzerte spielt und ihr letztes in Aachen über acht Jahre zurück liegt. Im gleichen Zeitraum gastierten Electric Orange jedoch auf einschlägigen Szene-Festivals in ganz Deutschland und machten auch auf der Zappanale in Bad Doberan Station.

Dass Electric Orange ihr Handwerk beherrschen, haben sie nicht nur auf ihren sieben Alben mit so sprechenden Titeln wie „Krautrock from Hell“, „Platte“ und „Fleischwerk“ bewiesen. Besonders eindrucksvoll zeigt sich die Kunst der Band im Live-Kontext, in dem Electric Orange alle Register ihres Könnens ziehen. In aller Ruhe werden mal psychedelische, mal jazzig angehauchte Klangteppiche gewoben, die Raum für Improvisationen lassen, rhythmisch und melodisch immer wieder überraschen. Auf eingängige Gesangspassagen oder griffige Riffs wird verzichtet, damit nichts vom Gesamtkunstwerk – dem Song – ablenkt.

Zuweilen sprengen Electric Orange die 15-Minuten-Grenze, steigern geduldig und akribisch die Spannung und lassen ihre Stücke schließlich genüsslich zum Höhepunkt kommen. Der rote Faden in ihren Stücken ist jedoch das Überraschungsmoment, sowohl kompositorisch wie instrumental kommen die Herren gerne unerwartet um die Ecke. So wird aus Langatmigkeit niemals Langeweile.

Man sollte also etwas Zeit zum Staunen mitbringen, wenn Electric Orange am Freitagabend (ab 20 Uhr) im Autonomen Zentrum, Vereinsstraße, endlich wieder ein Heimspiel haben. Mit von der Partie sind auch die Progressive Rocker von The Last Voids Stand.

Donnerstag, 17. Juni 2010

Señor Torpedo

Serie "Aachen Szene" für Aachener Nachrichten; erschienen am 17.6.2010

Elektronische Musik und eine erdige Instrumentierung passen nicht zusammen – könnte man meinen. In Aachen weiß man es schon lange besser: Das einheimische Quintett Señor Torpedo bringt bereits seit 2001 Tradition und Moderne unter einen Hut – und das mit durchweg tanzbarem Ergebnis, wie sich am Samstag im Kapuziner-Karrée einmal mehr zeigen wird.

Elektronisch produzierte Musik auf eine Bühne zu bringen ist oft so eine Sache: An den Anblick von dezent kopfnickenden Computer-Nerds an ihren Laptops, die mal hier klicken, mal da einen Regler bedienen, haben sich Discobesucher zwar mittlerweile gewöhnt. Mit einem Live-Konzert hat das allerdings nicht mehr viel zu tun – besonders dann, wenn das Ergebnis genauso klingt wie auf dem eigenen mp3-Player.

Kein Wunder, dass sich bei Señor Torpedo so mancher erstmal verwundert die Augen reibt: Es klingt elektronisch, doch da steht eine richtige Band auf der Bühne. Die stampfenden Beats kommen tatsächlich von einem Schlagzeug, die Synthie-Sounds werden justament in die Tasten gedroschen, der knarzige Bass wird tatsächlich gezupft und die soulig-jazzige Stimme kommt aus keinem Laptop.

Bei Andy Reinard (Schlagzeug), Oliver Walczak (Piano, Synth, Effekte), Thomas Palenberg (Bass) und Timo von Wirth (Percussion, Gesang) ist in der Tat fast alles live. Und mit der Wienerin Stephanie Zamagna haben die Jungs eine würdige Nachfolgerin für die ausgebildete Jazzsängerin Iris Romen gefunden. Mit ihrer vielseitigen, souligen Stimme haucht Zamagna – wie ihre Vorgängerin - selbst den elektronischsten ihrer Stücke Leben ein.

2001 gegründet, nannten Señor Torpedo ihre neuartige Spielart zunächst „Comfortable Latin House“. Der Einfluss lateinamerikanischer Rhythmen war insbesondere auf ihrem Debütalbum „Through Night Scenes“ aus dem Jahre 2003 hörbar und ist bis heute Teil ihres Konzepts. Mittlerweile jedoch ist das Repertoire der Band einerseits „rockiger und elektronischer, aber auch vielseitiger“ geworden, sagt Schlagzeuger Andy Reinard.

Der beste Beweis dafür ist ihr zweites Album „We wanna be from Sweden“ aus dem vergangenen Jahr. Die 13 Stücke darauf spiegeln die gesamte Bandbreite der Band wieder: Zu hören sind eine ganze Reihe mitreißender Elektrokracher und einige Stücke stoßen nach wie vor in Techno- und House-Gefilde vor. Dass das Album dennoch insgesamt geradezu reif und zuweilen beinahe entspannt klingt, liegt indessen an der erlesenen Auswahl an Nu-Jazz und Soulnummern, mit denen sich Ex-Sängerin Iris Romen, die mittlerweile in Berlin residiert, verewigt haben dürfte. Stücke wie „Electrisé“ und „Q“ haben regelrechte Gänsehautqualitäten.

Viele Aachener wissen das alles natürlich schon. Nicht erst seit ihrem gefeierten Auftritt im Rahmen des letztjährigen „September Specials“ sind Señor Torpedo hier kein Geheimtipp mehr. Wer die Combo bislang verpasst hat, oder sie noch einmal erleben möchte, erhält am Samstag eine grandiose Gelegenheit: Um 20.30 Uhr spielt das Quintett „für umme“ im Kapuziner-Karrée auf. Bereits um 18.30 Uhr heizen zudem die Mighty Sleepwalkers aus Aachen mit erdigem Akustik-Pop ein. Da kann man auch mal Fußball Fußball sein lassen.

Donnerstag, 10. Juni 2010

Kapelle # 3

Serie "Aachen Szene" für Aachener Nachrichten; erschienen am 10.6.2010

Da freut man sich seit einer gefühlten Ewigkeit auf die Fußball-WM – und dann das: Ausgerechnet am ersten Spieltag steht ein Konzert auf dem Programm, das man ebenso wenig verpassen will: Die Kölner Kapelle # 3 kredenzt am Freitag im Autonomen Zentrum eine ausgelassene Mischung aus Ska, Rocksteady und Reggae.

Immerhin haben die elf Jungs die Argumente auf ihrer Seite: Erstens spielen sie nämlich für einen guten Zweck. Die Aachener Ingenieure ohne Grenzen haben sie eingeladen, um mit ihrem Benefizkonzert ein Projekt in Kenia zu unterstützen. Zweitens stehen mit Human Painted und Bädfisch noch zwei weitere viel versprechende Bands auf dem Programm – und drittens dürfte die Begegnung Frankreich – Uruguay nicht zu den entscheidenden Partien der WM zählen.

Das wichtigste Argument pro Kapelle # 3 ist jedoch, dass sie Fans von traditionellem Ska und Rocksteady im Stile der Sechzigerjahre einen ausgesprochen guten Abend bereiten dürften. Was sie auf ihrem Debüt-Album „Ein Halbton unter Freunden“ (2009) festgehalten haben, verspricht jedenfalls einiges: Hier hat eine Reihe Musiker den ursprünglichen Sound der alten Ska-Veteranen von den Skatalites wiederentdeckt, ihn in die Gegenwart geholt und das Ganze mit augenzwinkernden deutschen und englischen Texten aufgefrischt.

Grundlage für dieses erfolgreiche Unterfangen ist – Ska-Fans ahnen es – ein mächtiger Bläsersatz: Gleich fünf Bandmitglieder blasen hier in Saxophone, Trompeten und Posaunen und geben schmissige, zuweilen mehrstimmige Melodien mit Ohrwurmcharakter zum Besten. Umspielt werden sie von einer Rhythmusgruppe, die gekonnt dem Offbeat frönt und mit einem druckvollen Bass und altmodischen Orgeleinlagen an die guten alten Zeiten der Ska-Anfänge erinnert.

Abwechslung bringt die Kapelle # 3, die sich 2004 gegründet hat, in Form entspannter Reggae- und Rocksteadynummern ins Spiel. Dabei kommen umso mehr die Songtexte der Sänger Peter, Jochen und Sebb zum Tragen. Gerade mit ihren deutschen Versen, die zuweilen an die Schweizer Aeronauten erinnern, wissen die Jungs zu überzeugen. Das mag daran liegen, dass die Kölner Elf sich selbst offenbar nicht allzu ernst nimmt. Viel mehr haben sie mit „Karawane“ sogar eine Art Trinkhymne in petto – die glücklicherweise herzlich wenig mit dem ähnlichen Titel der Höhner zu tun hat.

Auf ihren ersten Gig in der Kaiserstadt freut sich die Kapelle # 3 ungemein: „Wir wollten immer schon mal in Aachen spielen“, sagt Schlagzeuger Zabbo, „aber irgendwie hat es bisher nicht geklappt.“ Und auch das fußballerische Konkurrenzprogramm stört die Jungs wenig: „Die Hälfte von uns ist zwar selbst ziemlich fußballbegeistert, aber für solche Situationen haben wir immer ein Radio dabei…“

Wer auf ausgelassenen Ska und Rocksteady in traditionellem Gewand und mit amüsanten Texten Lust hat und zudem das Tanzbein schwingen mag, dürfte von der Kapelle # 3 bestens unterhalten werden. Und bei der zweiten Band des Abends gibt’s noch einen obendrauf: Die Aachener von Bäd Fisch covern sich nämlich durch beinahe das gesamte Repertoire der einstigen Punk Reggae-Legenden von Sublime. Eine stimmige Mischung also. Los geht’s um 19 Uhr.

Freitag, 4. Juni 2010

Julia A. Noack

Serie "Aachen Szene" für Aachener Nachrichten; erschienen am 4.6.2010

Mit ihren betörenden Kleinoden im Liedformat hat die gebürtige Mönchengladbacherin Julia A. Noack erst ihre Fans und dann die Fachpresse für sich gewonnen. Nun ist ihr zweites Album draußen, mit dem die Sängerin deutschlandweit den Durchbruch schaffen sollte - wenn alles normal läuft. Am Freitag gastiert Noack mit ihrer Band im Jakobshof.

Früher nannte man solche Leute Liedermacher, heute gehen sie „neudeutsch“ als Singer-Songwriter durch – und bei aller Vielfalt zeichnet die Musikergilde, der Julia A. Noack angehört, eines aus: Die Rückkehr zum einfachen Popsong, zu schlichten und dabei eingängigen Melodien, die ohne viele Instrumente und überflüssiges Beiwerk auskommen.

Doch während viele ihrer Kollegen sich an den großen Vorbildern aus den Sechziger- und Siebzigerjahren orientieren, große Gefühle und politische Botschaften zum Besten geben, ist die Wahl-Berlinerin in der Gegenwart zu Hause: Pathos und große Gesten sind nicht ihre Sache, Betroffenheit und Trauer genauso wenig. Ein bisschen Melancholie erlaubt sie sich, aber im Großen und Ganzen ist Julia A. Noack eine schlichte und bezaubernde Pop-Attitüde eigen, die ihr Heil eher in ironischen Anspielungen denn in offenherziger Authentizität findet.

In der Praxis klingt das ganz einfach eingängig. Im Mittelpunkt ihrer Stücke steht immer ihre starke, natürliche Stimme, umgarnt von der zentralen Akustikgitarre und einer Band, die sich nicht aufdrängt. Ein erdiges Schlagzeug, ein ruhig wummernder Bass, unafgeregte Orgelklänge und hier und da – quasi als Zeitstempel – ein paar dezente elektronische Einsprengsel: Das reicht ihr völlig, um ihre Melodien und ihre durchweg lyrischen englischen Texte in Szene zu setzen.

War Noacks Debütalbum „piles & pieces“ aus dem Jahr 2007 noch weitgehend das, was der Titel besagt, so klingen die Stücke ihres im Mai erschienen Zweitwerks „69,9“ reif und homogen. Die Fachpresse jedenfalls jubiliert: Von „Seele und wunderbaren Melodien“ ist auf flamingyouth.de die Rede und intro.de fühlt sich gar an die guten Momente der Singer-Songwriter-Königin Aimee Mann erinnert. Letzterer ähnelt Noacks Musik in der Tat – auch stimmlich gibt es Parallelen.

Von Mönchengladbach über die USA, Paris, Athen und Köln führte ihr Weg sie schließlich in die bundesdeutsche Hauptstadt, wo sie sich offensichtlich pudelwohl fühlt. Im Jakobshof gibt es nun ein Wiedersehen mit der weitgereisten Rheinländerin. Ihr Konzert am Freitag beginnt um 20 Uhr.

Donnerstag, 27. Mai 2010

Feature: Venus Hill

Feature "Aachen Szene" für Aachener Nachrichten; erschienen am 27.05.2010

Die doch recht große Aachener Ska-Gemeinde freut sich auf ein Gastspiel der niederländischen Band Venus Hill: Mit gleich drei Frontfrauen macht die Band am Samstag im Jakobshof Station, wo sie mit ihrer Mischung aus Ska, Rock, Metal und Reggae für Partystimmung sorgen will.

Der Legende nach waren eine Handvoll Amsterdamer Musiker 1997 auf dem Rückweg von einem Konzert der amerikanischen Band No Doubt, als ihnen die Idee kam, Venus Hill zu gründen. No Doubt, vielen wahrscheinlich eher durch ihren Pop-Hit „Don’t speak“ bekannt, waren damals noch in Sachen Ska und Punk unterwegs. Die Holländer wollten es ihnen nachtun – oder sie gar übertrumpfen: Denn während No Doubt mit Gwen Stefani eine attraktive Sängerin zu bieten hatten, sollten es bei Venus Hill gleich drei sein.

Neben den hübschen Frontfrauen wuchs die Band um weitere Musiker – so dass bald eine echte Elf auf der Bühne stand. Und die hatte Erfolg: Ihr Mix aus Ska, Rock, Metal und Reggae, der Ska-Fundamentalisten reichlich verwegen vorkommen musste, fand immer mehr Fans. Bald wurden Vergleiche mit erfolgreichen Artgenossen wie den Mighty Mighty Bosstones, den Dance Hall Crashers und eben den frühen No Doubt angestellt und Venus Hill wurden zunehmend gefragter.

Auch die euregionale Skaszene eroberten Venus Hill spätestens mit ihrem Auftritt beim „Skanking at Skarneval“-Festivals im Vaalser Spuugh Anfang 2003. Nebenbei punkteten sie auf immer größeren Festivals: So wurden sie als Headliner auf einer der Nebenbühnen des holländischen „Lowlands“-Festival gebucht. Gemeinsame Tourneen mit Szenegrößen wie The Beat, The Selecter, The Specials und den Bad Manners taten das Übrige, um Venus Hill in Europa einen Namen zu machen.

Was die Amsterdamer von landläufigen Ska- und auch Ska Punk-Bands unterscheidet, sind natürlich zunächst einmal die drei Sängerinnen mit ihrem mal lieblichen, mal rotzigen mehrstimmigen Gesang. Musikalisch ist es wohl der Gegensatz aus jamaikanisch beeinflusstem, traditionellen Ska auf der einen und hartem Rock mit gelegentlichen Metal-Riffs auf der anderen Seite. Außer Venus Hill gibt es wohl kaum eine Band, die es schafft, mit der legendären Metal-Axt „Flying V“ authentisch klingende Offbeat-Akkorde aus den Lautsprechern zu holen. Mit dem ebenso melodiösen wie zackigen Bläsersatz und den wabernden Hammond-Sounds wird der überzeugende Stilbruch schließlich perfekt.

Das Resultat ist Partystimmung – und zwar auf wie vor der Bühne. Davon kann sich jeder am Samstag im Jakobshof selbst überzeugen. Nach dem Auftritt von Venus Hill (ab 20 Uhr) steigt dort anschließend die „Move Ya Feet!“-Party mit Ska, Punk, 60s, Soul und Britpop aus der Dose.

Donnerstag, 20. Mai 2010

Konzerttipps: Ringo & Pantéon Rococó

Kolumne "Aachen Szene" für Aachener Nachrichten; erschienen am 20.05.2010

Auch 40 Jahre nach ihrem Ende ist das Erbe der Beatles allgegenwärtig. Das wollen die fünf Aachener von der Tributband Ringo am Sonntag im Jakobshof unter Beweis stellen. Eine atemberaubende Mischung aus Latino-Rhythmen, Ska und Punk haben unterdessen Pantéon Rococó aus Mexiko zu bieten, die am kommenden Dienstag im Musikbunker Station machen.


Zwei der „Fab Four“ haben ja leider bekanntlich schon das Zeitliche gesegnet, aber Ringo Starr lebt noch. Vielleicht ist das der Grund, warum fünf Aachener ihre Beatles-Coverband ausgerechnet nach dem Schlagzeuger mit dem markanten Vornamen benannt haben. Auch bei Ringo lebt die Musik der Beatles auf, als gehöre sie in unsere Zeit, als hätte es alles, was danach kam, nie gegeben – oder wenigstens nicht gebraucht.

Doch was unterscheidet die fünf Jungs von den unzähligen anderen Beatles-Coverbands, die weltweit durch Stadtfeste und Bierzelte tingeln, sich als „Fab Four“ verkleiden und die Gesten ihrer Vorbilder imitieren? Warum sind Ringo mehr als eine Nummern-Revue für Nostalgiker?

„Uns geht’s ausschließlich um die Musik“, erklärt Schlagzeuger Andy Reinhardt, „nicht um ein blödes Theaterstück.“ Die fünf haben Ringo nicht gegründet, um mit einer Beatles-Show Geld zu verdienen, sondern ausschließlich „aus Spaß an der Sache“. Und folglich spielen Ringo auch nur die Stücke, die sie selbst am überzeugendsten finden, das jedoch so originalgetreu wie es eben geht. Und eben ohne Kostüme oder peinliche Showelemente.

„Coolness“ der Beatles wiederentdeckt
Ringo sind neben Andy Reinhardt noch Markus Sander (Gesang, Gitarre), Thomas Wosnitza (Bass, Gesang), Mark Aretz (Gitarre, Gesang) und Jonas Lorenz (E-Piano, Orgel) und damit allesamt junge Aachener Musiker, die man aus gefragten Combos wie Senor Torpedo, Soulbuzz oder Sundown kennen könnte. Ihre musikalische Klasse erlaubt es ihnen auch, so unterschiedliche Stücke wie „She loves you“ aus der Frühphase und „Tomorrow never knows“ aus der Spätphase der „Fab Four“ authentisch zu interpretieren.

Dass Ringo auch ein junges Publikum mitreißen, liegt wohl auch daran, dass sie die „Coolness“ der Beatles wiederentdeckt haben. Und so fanden sie es wohl auch ziemlich cool, wie ihre Vorbilder auf einem Dach zu spielen: Ihr Auftritt hoch über dem Aachener Marktplatz sorgte 2008 in jeder Hinsicht für Aufsehen.

Ringo spielen am Sonntag, 23. Mai, um 20 Uhr live im Jakobshof auf.

Szenenwechsel: Mexiko, Mitte der Neunzigerjahre. In dem mittelamerikanischen Land begehren die Zapatisten gegen neoliberale Tendenzen und soziale Ungerechtigkeit auf. In ihrer Mitte gründen sich etliche politische Bands und werden zu Sprachrohren der indigenen Bevölkerung Mexikos. Eine von ihnen ist Pantéon Rococó, denen international eine große Karriere bevorsteht.

Schweißtreibendes Fitnessprogramm
15 Jahre später ist die zwölf Mann starke Combo Stammgast auf den größten Festivals der Welt. Ihre Mestizo-Musik, eine Mischung aus lateinamerikanischen Rhythmen wie Salsa, Rumba, Samba und Cumbia mit Anleihen aus Ska, Rock und Reggae hat auch in Deutschland zahlreiche Fans. Den anheizenden Gesang und die häufig politischen spanischen Texte versteht zwar längst nicht jeder, aber so viel hat sich herum gesprochen: Pantéon Rococó sind mitreißend, atemberaubend und unbedingt tanzbar – solange man nicht aus der Puste kommt.

Denn ein Markenzeichen der Mexikaner ist ganz klar ihr halsbrecherisches Tempo, mit dem sie ihre Offbeat-lastigen Stücke durch den Konzertsaal peitschen. Dazu die schwindelerregenden Trommeleinlagen gleich mehrerer Percussionisten, zackige Bläsersätze – und das schweißtreibende Fitnessprogramm mexikanischer Prägung ist perfekt. Fans eher lässiger Reggae-Rhythmen oder von britisch-coolem Ska sind da jedenfalls schnell überfordert. Pantéon Rococó treiben den Puls in die Höhe und zielen direkt auf die Beine, auf dass auch der letzte im Saal ihre feurige Leidenschaft zu spüren bekommt.

Abgesehen von ihrer politischen Motivation – die Band klagt soziale Ungerechtigkeit auch heute noch unverhohlen an – sind Pantéon Rococo aber alles andere als bierernst unterwegs. Ihre amüsante Coverversion von Bobby Hepps Soulklassiker „Sunny“ ist nur ein Beweis dafür.

Pantéon Rococó machen am kommenden Dienstag, 25. Mai, um 20.30 Uhr im Musikbunker Station.

Donnerstag, 13. Mai 2010

Konzerttipps: Ohrbooten, The Late Call und Björn Kleinhenz

Kolumne "Aachen Szene" für Aachener Nachrichten, erschienen am 13.05.2010

Am kommenden Samstag trennt sich die Party- von der Romantikfraktion: Während es die Berliner Ohrbooten im Musikbunker vermutlich mächtig krachen lassen, darf in der Raststätte bei The Late Call und Björn Kleinhenz andächtig geschwelgt und geträumt werden.

„Von Bob Marley bis Slipknot steckt quasi alles im Gyp Hop“, singen die vier Ohrbooten und erläutern auf ihrem gleichnamigen neusten Album gleich auf Anhieb, worum es bei ihnen geht. Wer es noch genauer wissen will: Die Ohrbooten vereinen seit 2003 Reggae- und Raggarhythmen mit deutschsprachigem Sprechgesang und lassen ganz nebenbei Einflüsse aus aller Welt und aus fast allen denkbaren Genres einfließen. Da ist es wenig erstaunlich, dass die Combo bereits 2006 den Deutschen Weltmusikpreis RUTH gewinnen konnte.

Derbe Bouncer und Gyp Hop
Dass ihre Musik so unglaublich energiegeladen klingt und die letzte Schlafmütze zum Stehjoggen inspirieren dürfte, könnte daran liegen, dass die vier Berliner „im Proberaum etliche Liter Kaffee“ zu sich genommen haben – was zweifellos seine Spuren hinterlassen hat. Abgesehen von wenigen Ruhepausen, die die Ohrbooten sich und ihrem Publikum gönnen, spurten die Jungs mit einer Dynamik und einer Spielfreude durch ihr Programm, dass selbst die größten Tanzmuffel irgendwann Zuckungen in den Beinen bekommen.

„Derbe Bouncer“ haben Frontman Ben, Gitarrist Matze, Onkel (Schlagzeug) und Noodt (Bass, Tasten) jede Menge im Programm. Dabei hat ihr „Gyp Hop“ mit dem deutschsprachigen HipHop, der seit Jahren die Charts dominiert, eher wenig zu tun – so verspielt, schräg und überbordend vor Ideen ist das Ganze, dass es hierzulande seinesgleichen noch sucht. Man merkt sofort, dass die Erschaffer der „Falafelbeats“ einmal als Straßenmusiker angefangen haben und auch außerhalb ihrer musikalischen Profession kaum wissen, wohin mit so viel Kreativität und Energie: Jedes der Bandmitglieder scheint pflegt zig Nebenprojekte.

„Das Leben ist eine große Autobahn“, rappen die Jungs in einem ihrer bekanntesten Stücke. Am Samstag um 20 Uhr fahren die vier einmal kurz ab und machen Station im Musikbunker, Rehmannstraße.

Passender wäre es natürlich, sie spielten in der Raststätte in der Lothringerstraße, doch da ist um 20 Uhr schon das Kontrastprogramm angesagt: Zu Gast sind die beiden Singer-Songwriter The Late Call alias Johannes Meyer und Björn Kleinhenz, der eine Wahl-Stockholmer mit deutschem Pass, der andere echter Schwede.

"Manifest gegen postmoderne Samstagabendunterhaltung"
Meyer hat ein Album aufgenommen, dass seine Plattenfirma Tapete Records so beschreibt: „’Leaving Notes’ klingt wie ein Manifest gegen die postmoderne Samstagabendunterhaltung“. Das klingt nach einer ziemlichen Spaßbremse - und ist es auch, zumindest wenn man das Publikum der Ohrbooten fragen würde. Zum Glück sind hier jedoch ganz andere Qualitäten vorhanden.

Bei The Late Call darf nach Herzenslust geschwelgt, geträumt und geschmachtet werden: Der 27-jährige Gitarrist und Sänger habe Melodien, die „lange im Gedächtnis und vor allem im Herzen bleiben“, schrieb etwa das Onlinezine laxmag.de. Solche Begeisterung rührt wohl daher, dass The Late Call kompositorisch wie gesanglich ganz klar in der Tradition sensibler Liedermacher wie Nick Drake, Elliott Smith und Tiger Lou steht. Bei ihm braucht sich für seine Gänsehaut zu schämen. Mit zarter Stimme und feinem Picking auf der Akustikgitarre gelingt es ihm, sein Publikum auf eine ganz altmodische Weise zu berühren. Böse Zungen oder Ohrbooten-Fans mögen das „Frauenmusik“ schimpfen. Alle anderen schweigen und genießen.

In beinahe allen von Meyers Stücken schwingt Melancholie mit. Selbst wenn er darüber singt, wie glücklich er gerade sei, nimmt man es ihm nie wirklich ab. Seine Platte sei „der Beweis, dass eine Fernbeziehung Spuren hinterlässt“, schreibt sein Hamburger Label. In der Tat: Er muss es schwer haben im fernen Stockholm, wo die Sommer kurz und die Winter düster sind. Aber genau diesem Umstand verdanken Meyers Fans wohl diese gefühlvollen Kleinode, die noch lange nachhallen.

Björn Kleinhenz hat an den Aufnahmen zu „Leaving Notes“ mitgewirkt, wird aber in der Raststätte auch eigene Stücke spielen, denn derer hat er in den vergangenen zehn Jahren so einige zusammengetragen. Auch Kleinhenz ist ein großer Nostalgiker, gibt zuweilen auch mal Kassetten an seine Fans raus und schlägt musikalisch in die gleiche Kerbe wie The Late Call. Allerdings klingt Kleinhenz noch ein bisschen schwedischer, erlaubt sich mehr Einflüsse aus der Pop- und Indiekiste. Vergleiche mit Damian Rice und José Gonzalez sind bei ihm aber auch nicht ganz verkehrt.

Am Samstag muss man sich also entscheiden, ob man lieber die Nacht zum Tag oder den Tag zur Nacht machen will. Beides ist drin – und zwar mit Klasse.

Donnerstag, 6. Mai 2010

Konzerttipps: Blues Delivery und The Yorkshire

Kolumne "Aachen Szene" für Aachener Nachrichten, erschienen am 06.05.2010

Am kommenden Freitag steht Nostalgie auf dem Programm: Im Franz geben sich Blues Delivery die Ehre und lassen noch einmal den Ur-Blues der ganz alten Tage hochleben. Und im Parkside kredenzen The Yorkshire Indie und Wave, der direkt aus den Achtzigern zu kommen scheint.

Sie interpretieren Stücke von wahren Blues-Legenden und sind doch beinahe selbst schon eine geworden: Blues Delivery um Bandleader Werner Weber und den Blues Harp-Virtuosen Riedel Diegel tingeln bereits seit Ende der Siebzigerjahre durch die Bluesclubs und Kneipen der Kaiserstadt und dürften jedem Öcher, der sich auch nur entfernt für Blues interessiert, ein Begriff sein.

Nun gibt es Blues-Combos wie Sand am Meer, aber diese ist seit jeher ein Sonderfall und zumindest in der Euregio einmalig: Denn Blues Delivery schwören nicht auf den elektrifizierten Sound, der spätestens seit den Sechzigerjahren weltweit populär wurde. Viel mehr hat die Aachener Band ihr Heil im Ur-Blues gefunden, der in den Zwanziger- und Dreißigerjahren aus Rag, Cajun und Jazz entstand und den Protagonisten wie Bessie Smith, Ma Rainey und Billie Holiday in den USA populär machten.

Dass Blues Delivery diesen urwüchsigen, authentischen Sound so frisch und mitreißend wiedergeben können, liegt zweifellos an der musikalischen Klasse der Band: Riedel Diegel gewann bereits 1989 die Blues Harp-Weltmeisterschaft von Hohner und spielte mit Größen wie Reinhard Mey, Tommy Engel und Schwoißfuass. Der Gitarrist und Sänger Werner Weber ist ein wahrer Kenner der alten Blues-Klassiker und gibt sie stilecht wieder. Sängerin Andrea Porten-Thielen verleiht der Musik mit ihrer geschulten, ausdrucksstarken Stimme die Seele. Männi Wotruba an der virtuosen Solo-Gitarre und Lothar Galle-Merkel am bundlosen Bass runden die stimmige Bandbesetzung ab. Ein Schlagzeug brauchen die Musiker genauso wenig wie ihre Vorbilder. Für fähige Gastmusiker – unter ihnen Blind John Davis und Götz Alsmann – waren Blues Delivery hingegen immer offen.

Wer Lust auf eine kleine Geschichtsstunde (oder auch zwei) in Sachen Blues hat, kann Blues Delivery am Freitag um 20 Uhr im Franz, Franzstraße, erleben. Dort gibt die Combo ein „Blues Harp Special“ zum Besten, bei dem Riedel Diegel alle Register seines Könnens ziehen wird.

Die Achtzigerjahre kann man wohl kaum als goldene Epoche des Blues bezeichnen – doch dafür hatten sie andere Qualitäten: Einige davon haben sich die fünf Kölner von The Yorkshire auf die Fahne geschrieben, die ebenfalls am Freitagabend in Aachen aufspielen. Bei ihnen gibt’s eine relativ flockige Mischung aus Indie, Wave und authentischem Achtziger-Sound.

Die Ära der Schulterpolster, Karottenjeans und Achselhaarwuchswettbewerbe übt auf die junge Generation (die das nicht miterleben musste) bereits seit geraumer Zeit eine erstaunliche Faszination aus. Auch die Musik aus jener Zeit wird wiederentdeckt: Synthesizersounds sind angesagter denn je und Bands wie Franz Ferdinand und Maximo Park gelangten in den letzten Jahren mit ihren eindeutigen Referenzen zu Post Punk und Wave zu gehörigem Ruhm.

Was The Yorkshire von solchen Bands unterscheidet, ist dass sie es musikalisch offenbar noch ein wenig ernster meinen: Ihr Sound klingt tatsächlich nach den mittleren Achtzigern und ihr englischer Gesang klingt stellenweise so deutsch, wie es eigentlich nur Mitte der Achtziger im Radio hat klingen dürfen. Dazu gibt es zuckersüße Melodien, zuweilen zwingende Tanzrhythmen, hier und da ein wenig Piano-Kitsch, drahtige E-Gitarren und sehr gefühligen Gesang. Aber natürlich wird bei The Yorkshire auch gerne mal in echter Indie-Manier abgerockt.

Vor gut zwei Jahren taten sich The Yorkshire zusammen und bereits ihre Debüt-EP sorgte bei Fans für Begeisterung. Aktuell stehen die Jungs vor der Fertigstellung ihres Debüt-Albums und viele ihrer neuen Stücke werden sie sicher in Aachen vorstellen.

Am Freitagabend steht also noch eine Geschichtsstunde auf dem Programm: Wer die Achtzigerjahre, wie sie sich in deutschen Indie- und Waveclubs angehört haben könnten, einmal relativ stilecht erleben möchte, dürfte bei The Yorkshire an der richtigen Adresse sein. Ab 20 Uhr sind zudem die Aachener Alternative Rocker von den Mad Squirrels mit von der Partie.

Freitag, 30. April 2010

Konzerttipp: Mr. Irish Bastard

Kolumne "Aachen Szene" für Aachener Nachrichten, erschienen am 29.04.2010

Wer einmal Shane MacGowan, den einstigen Sänger der Pogues, erlebt hat, weiß: Irish Folk und Punkrock haben mehr gemeinsam, als manche glauben. Das wissen auch die Musiker um Mr. Irish Bastard, die ihre Spielart denn auch schlüssig als „Fine Irish Punk Drinking Music“ bezeichnen. Am Samstag gastiert die Combo im Musikbunker.

„Ein großes Dankeschön an ein tolles Publikum für einen der besten Abende, den wir jemals hatten“ – so verabschiedeten sich die sieben Musikanten nach ihrem letzten Auftritt in Aachen vor etwas mehr als einem Jahr. Wer vor Ort war, wird sich sicher erinnern und vermutlich wieder kommen. Wer Mr. Irish Bastard seinerzeit verpasst hat, aber auf Irish Folk mit einer gewissen Punk-Attitüde steht, sollte am Samstag im MuBu reinschauen.

Sich selbst beschreiben die Münsteraner wie folgt: „Der Cocktail aus Zigaretten, Bier, Whiskey und der rauchigen Stimme, die viele an Shane McGowan erinnert, wird durch klassische Instrumente wie Flöte, Mandoline, Akkordeon und Banjo abgerundet.“ Man beachte die Reihenfolge der Stilelemente: Bei den Damen und Herren steht ganz offensichtlich der Party-Faktor an erster Stelle, erst dann kommt die stilecht, mit traditionellen Instrumenten, dargebrachte Musik ins Spiel.

Dass das so ist, hat wohl ganz wesentlich mit Frontmann der Band, Mr. Irish Bastard höchstpersönlich, zu tun, der sich als waschechter Ire selbstverständlich mit Whiskey auskennt und weiß wie man anständig feiert. Seine Stimme klingt auch tatsächlich ein wenig nach Shane MacGowan, auch wenn der Sänger (Achtung: Insider!) anscheinend noch alle Zähne im Mund hat.

Gegründet hat sich die Combo 2006, in der Kürze der Zeit jedoch schon eine ganze Reihe Erfolge feiern können: Bereits nach zwei Monaten wurden sie von den Levellers als Vorgruppe für deren Europa-Tournee engagiert und kurz darauf begleitete man Fiddlers Green auf die Bühnen des Kontinents. Ihre erste EP verkauften sie im Eigenvertrieb über 3.000 Mal und mit ihrem Debüt-Album „The Bastard Brotherhood“ landeten sie 2008 einen Achtungserfolg. Es folgten Tourneen durch Europa und Asien. Und vor wenigen Tagen veröffentlichten die Münsteraner ihr Zweitwerk „A Fistful of Dirt“.

Das Geheimrezept der Band ist neben ihrer Lust zu feiern und ihrem ebenso Pogo- wie schunkeltauglichen Sound wohl auch ihre Offenheit. So schrecken Mr. Irish Bastard und Kollegen nicht davor zurück, Ricky Martins „Livin La Vida Loca“ oder The Cures „Why can’t I be you“ durch den irischen Kakao zu ziehen.

Fazit: Wer mit Irish Folk grundsätzlich kein Problem hat und Bands wie Flogging Molly, The Pogues oder die Dropkick Murphys oder einfach nur die irische Art zu feiern mag, dürfte bei Mr. Irish Bastard einen guten Abend haben.

Donnerstag, 22. April 2010

Konzerttipps: Benedikt Jahnel und Johanna Zeul

Kolumne "Aachen Szene" für Aachener Nachrichten, erschienen am 22.04.2010

Ob sich Johanna Zeul und Benedikt Jahnel verstehen würden, wenn sie sich träfen? Wohl kaum: Während es über die exzentrische Liedermacherin heißt, sie schlafe „mit den Fingern in der Steckdose“, ist über den hochbegabten Jazz-Pianisten bekannt, dass er sich akademisch mit Wahrscheinlichkeitsrechnung beschäftigt. So viel steht in jedem Fall fest: Die Konzerte der beiden gegensätzlichen Künstler in Aachen werden mit Spannung erwartet.

„Keine Frage, Johanna Zeul hat einen Knall“, schrieb die Süddeutsche Zeitung einmal über die 1981 geborene Wahl-Berlinerin. Wer die junge Frau einmal auf der Bühne erlebt hat, wird das vermutlich bestätigen: So exzentrisch, laut, ehrlich – und ja: irgendwie verrückt - war seit der Neuen Deutschen Welle kaum eine Sängerin in unseren Breiten. Wie ein Derwisch springt Johanna Zeul mit ihrer Gitarre auf der Bühne herum, jauchzt und schreit, zieht Grimassen – und hat offenbar enorm großen Spaß dabei.

Peinlich und kindisch mögen das manche finden. Entwaffnend, ansteckend und berührend andere: Als „hinreißend spontan“ etwa lobt die Frankfurter Allgemeine die Sängerin und der Fernsehsender Arte widmete ihr einen eigenen Beitrag. Zeuls Debüt-Album „Nummer 1“ aus dem Jahr 2007 erntete ebenfalls erstklassige Kritiken.

Was die Begeisterung für Johanna Zeul ausmacht, ist dabei weniger ihre Musik. Ihre Kompositionen rufen zwar zuweilen NDW-Legenden wie Ideal oder Rio Reiser in Erinnerung, sind aber weder virtuos gespielt noch besonders unorthodox. Viel mehr ist es der Mensch Johanna Zeul selbst, den sie mit ungefilterter Authentizität und emotionaler Wucht auf ihr Publikum loslässt. Diese Frau hat nichts zu verbergen, viel zu sagen und möglichst alle sollen es sehen und hören. Um das vermitteln zu können, ließ Zeul sogar einen Major Deal sausen und gründete ihr eigenes Label „Gold und Tier“, auf dem sie demnächst ihr zweites Album veröffentlichen wird. In das Vermarktungsschema der Plattenindustrie würde sie wohl auch gar nicht passen.

Vielleicht ist Johanna Zeul deswegen so einzigartig und faszinierend, weil sie quasi der Gegenentwurf zu allem Künstlichen in ihrer Branche ist, zu Superstar-Castings, falschem Pathos und austauschbaren Songtexten.

Derzeit ist die Musikerin, die bezeichnenderweise einmal den Rio Reiser Songpreis gewann, mit ihrer kleinen Band auf Tour. Am Freitag macht sie Station in der kleinen Raststätte in der Lothringerstraße. Wer sie erleben will, sollte wohl deutlich vor 20 Uhr da sein.

Das Kontrastprogramm dazu gibt’s am Sonntagabend um 20.30 Uhr im Dumont: Zu Gast sein wird der junge Jazz-Pianist und Komponist Benedikt Jahnel. Dass der neben seinem Musikerdasein auch noch Mathematik studiert und sich dabei bevorzugt mit Wahrscheinlichkeitsrechnung auseinandersetzt, wäre nur eine Fußnote wert – würde sich dieser Umstand nicht in Jahnels Kompositionen widerspiegeln.

Dabei klingt Jahnels Musik keineswegs verkopft. Der Pianist, hiesigen Jazzfans vielleicht durch seine Gastspiele mit der Combo max.bab bekannt, gehört nicht zu den zwanghaften Innovatoren, die die abendländische Harmonik zum Teufel jagen wollen. Eher das Gegenteil ist der Fall: Gerade weil Jahnel seine Kompositionen teilweise mathematisch zu strukturieren scheint, werden diese letztlich zugänglicher.

Es ist der Gegensatz aus Rationalität und Sinnlichkeit, der die Faszination von Jahnels Musik ausmacht: Einerseits ist eine präzise Klangarchitektur hörbar, sind Stücke völlig klar und durchdacht strukturiert; andererseits ist immer auch das vorhanden, was im Deutschlandfunk als „Klangmalerei“ beschrieben wurde: Traumhafte Passagen, gefühlvoll und manchmal melancholisch, swingende Leichtigkeit, offenkundige Lust am Improvisieren. Trotz des mathematischen Unterbaus scheint diese Musik zu fließen und offene Räume zu suchen.

Ins Dumont kommt Jahnel in Trio-Formation: Der Spanier Antonio Miguel am Kontrabass und der kanadische Schlagzeuger Owen Howard sind dabei mehr als nur Stichwortgeber. Gemeinsam mit den gefragten Musikern der New Yorker Jazzszene nahm Jahnel auch das Album „Modular Concepts Songbook“ (2008) auf, das nicht nur in der Jazzszene hervorragende Kritiken und viele Anhänger gefunden hat.

Das Konzert des Benedikt Jahnel Trios im Dumont beginnt am kommenden Sonntag um 20.30 Uhr.

Donnerstag, 8. April 2010

Konzerttipps: Jethro Tull, Kitty Solaris und Bernhard Eder

Kolumne "Aachen Szene" für Aachener Nachrichten, 08.04.2010

Mit Klassikern wie „Locomotive Breath“, „Aqualung“ und „Living in the past“ haben Jethro Tull in den Siebzigerjahren Musikgeschichte geschrieben. Am Samstag kommt die legendäre Combo um Frontmann Ian Anderson ins Eurogress.

Der Sound von Jethro Tull ist seit ihrer Gründung im Jahre 1968 untrennbar mit Ian Andersons Flötenspiel verbunden. Wie es dazu kam, erzählte der Frontmann vor kurzem im Interview mit unserer Zeitung: „Als ich mein Elternhaus verließ, brauchte ich ein Instrument, das ich in den paar Tüten verstauen konnte, die ich mitnahm. Eine Gitarre hätte den Rahmen gesprengt. Die Flöte war aber auch ungewöhnlich genug im Rockkontext, um damit Gehör zu finden.“

Der Rest ist Musikgeschichte, könnte man ergänzen: Jethro Tull fanden ziemlich bald Gehör, bereits ihr zweites Album „Stand up“ schoss 1969 an die Spitze der britischen Charts. 1971 gelang ihnen der weltweite Durchbruch mit der Single „Locomotive Breath“ und dem Album „Aqualung“. Andersons rockiges Flötenspiel war das Markenzeichen von Jethro Tull geworden. Ihre Alben „Thick As A Brick“ und „A Passion Play“ waren in den Siebzigerjahren nicht nur Verkaufserfolge, sie sind auch herausragende Beispiele gelungener progressiver Rockmusik. Es folgten Millionen verkaufte Platten und bis heute rund 3500 Konzerte rund um den Erdball.

Ihr letztes Studio-Album veröffentlichten die Briten 1999. Seitdem sind sie beinahe permanent auf Tour. Und das sicher nicht aus finanziellen Motiven, steht Anderson doch als Plattenmillionär und erfolgreicher Geschäftsmann bestens da. Sein Alter führe ihm die „Endlichkeit der Zeit vor Augen“, sagte der Sänger im Interview, „die mir noch bleibt, um Musik machen zu können.“

Und tatsächlich: Der gebürtige Schotte gehört zu den letzten noch lebenden Protagonisten der goldenen Ära der Rockmusik. Bedenkt man, dass Jethro Tulls erste Erfolge mehr als 40 Jahre zurück liegen und wie viele ihrer Weggefährten in der Zwischenzeit das Zeitliche gesegnet haben, wird erst klar, was für ein Glücksfall es ist, dass Ian Anderson immer noch nicht müde ist, die alten Hits zum Besten zu geben.

Wer die lebenden Legenden – neben dem Sänger ist auch noch Gitarrist Martin Barre aus der Anfangszeit dabei – noch einmal live erleben möchte, kann das am kommenden Samstag um 20 Uhr im Eurogress tun. Jethro Tull versprechen nicht weniger als ihre „Greatest Hits“, eine Auswahl ihrer besten Songs.

Bedürfte es noch eines Belegs, dass die Sechziger- und Siebzigerjahre in der populären Musik bis heute nachwirken – man bekäme ihn am gleichen Abend: In der Raststätte gastieren nämlich mit Kitty Solaris und Bernhard Eder zwei Künstler, die sich mehr oder weniger direkt auf diese Epoche berufen und dabei ebenso schöne wie interessante neue Musik schaffen.

Die junge Berlinerin Kitty Solaris ist laut eigener Aussage „auf den Spuren ihrer Favoriten Velvet Underground, Patti Smith und Cat Power“ unterwegs – und das hört man. Nur mit ihrer Gitarre als Untermalung ruft sie die zarte Melancholie ins Gedächtnis, den zuckersüßen Schwermut, der schon ihre Vorbilder auszeichnete. Ihre meist eher schlicht gehaltenen Stücke leben von einer bewegenden, raumfüllenden Intimität, der sich wohl kaum jemand entziehen kann.

Bernhard Eder, gebürtiger Oberösterreicher und seit einigen Jahren ebenfalls Wahl-Berliner, ist ein vielversprechender Singer-Songwriter, der kompositorisch in der Tradition von Größen wie Nick Drake, George Harrison und Elliott Smith steht. Anders als seine Labelkollegin, mit der er derzeit auf Tour ist, lässt Eder seine leisen, betörend melodiösen und melancholischen Kleinode jedoch zuweilen von einem Akkordeon, einer Geige oder anderem Beiwerk umschweben.

Wer die beiden Musiker live erleben möchte, sollte sich am Samstag um 20 Uhr zur Raststätte aufmachen.

Donnerstag, 1. April 2010

Konzerttipps: The Blue Van, Jane Walton, Montreal, Mofa und Bernd Begemann

Kolumne "Aachen Szene", erschienen in Aachener Nachrichten, 01.04.2010

Wer die Feiertage für einen Kurzurlaub im Süden oder einen Besuch bei den lieben Verwandten nutzt, bekommt vielleicht schönes Wetter oder leckeren Kuchen – die bessere Musik jedoch gibt’s wie so oft in der Heimat: Gleich vier Konzerte stehen auf dem Programm, für die sich eine kurzfristige Planänderung lohnen würde.


Aus dem Land nördlich von Flensburg kommen The Blue Van, die wie so viele skandinavische Combos ganz ordentliche Ohrwürmer in petto haben. Die verpacken sie in einen Retro-Rocksound, der stark an die Siebziger erinnert. Damit sind sie den schwedischen Kollegen von Mando Diao und The Hives nicht ganz unähnlich, jedoch weniger süffig als Erstgenannte und weniger punkig als Letztere. Stattdessen setzen The Blue Van mehr auf einen vergleichsweise trockenen, authentischen Sound und erinnern tatsächlich mehr an T. Rex oder Led Zeppelin als an irgendeine zeitgenössische Truppe.

Ach ja, recht erfolgreich sind die vier Zimmermann-, Trucker- und Bauernsöhne aus Dänemark mit ihrer Retro-Rockshow übrigens auch. Die 2003 gegründete Band kann nicht nur auf zahllose Konzerte rund um den Erdball und drei Alben verweisen, auch im Fernsehen kann man sie zuweilen hören: Ihre Lieder wurden in Serien wie „Beverly Hills 90210“, „CSI NY“ und „Scrubs“ eingesetzt. The Blue Van gastieren heute Abend um 20 Uhr im Musikbunker.

Berlin ist das New York Deutschlands: Hier legen sie an, die Suchenden aller Länder, die auf eine neue Welt hoffen – und sie sich dann dort einfach selber schaffen. Deswegen kann sich eine Band wie Jane Walton auch nur in der Hauptstadt gründen: „Der Haufen Freaks“, als den sie sich selbst bezeichnen, rekrutiert sich aus zwei Schweizern, einer Deutsch-Polin, einem Halbindianer aus dem Allgäu, einem Amerikaner und einem Deutschen und kredenzt – man lese und staune – einen Multikult-Mix namens „Speedrumpelpolkacountrytrashcircusmusique“.

Man ahnt es schon, Techno-Fans und Jazz-Mathematiker dürften damit nicht glücklich werden. Wer jedoch Freude an einer gnadenlos unvirtuosen Stilmelange mit Party-Garantie hat, wird bei Jane Walton voraussichtlich lustvoll das Tanzbein schwingen. Schon um herauszufinden, welch tragikomisches Schicksal die Namensgeberin, eine gefragte Schauspielerin der Fünfzigerjahre, ereilt hat, lohnt sich der Weg in den Malteserkeller, wo die bunte Truppe am Ostersonntag Station macht.

Zur gleichen Zeit spielen zwei schwer angesagte Newcomer-Bands im Jakobshof auf, die im Musikfernsehen zurzeit rauf und runter gesendet werden. Sowohl Montreal als auch Mofa haben zwar das Pop-Punk-Rad, an dem sie drehen, nicht neu erfunden. Aber weil sie mit ihren deutschen Texten offenbar den Nerv der Zeit treffen, gehen die Combos karrieremäßig ziemlich steil.

Dabei haben die beiden Hamburger Bands durchaus unterschiedliche Werdegänge hinter sich: Montreal aus Hamburg haben jahrelang Fleißkärtchen gesammelt, seit ihrer Gründung Hunderte Konzerte absolviert, oft vor namhaften Bands wie Bloodhound Gang, Samiam oder Ignite. Mofa hingegen hatten vor zwei Jahren die (geniale) Idee, ausschließlich in albernen Tennisklamotten aufzutreten. Zusammen mit ihrem formidablen Hit „Tiger“ besorgte ihnen dieser Spleen umgehend Kultstatus – und nun schauen sie sich die MTV-Rockcharts von oben an.

Wer Spaß an geradlinigem, melodischen Pop-Punk mit deutschen Texten und Charts-Siegel hat, kann beide Bands am Ostersonntag im Jakobshof erleben.

Bleibt noch „der Bernd“, wie seine Fans ihn am liebsten nennen. „Der elektrische Liedermacher“ Bernd Begemann ist jemand, den man entweder liebt oder hasst. Seine Fans lieben den gebürtigen Ostwestfalen, weil er ebenso intelligent wie empathisch von Dingen singt, die viele sich nur zu fühlen trauen. Seine Gegner hassen ihn, weil er dabei manchmal klingt, als hätte Jürgen Drews zu viel Haschisch geraucht und anschließend ein Glas Kirschmarmelade hinterher gekippt.

Unumstritten hingegen sind Bernd Begemanns Verdienste um die deutschsprachige Popmusik: Bereits seit Mitte der Achtziger beweist der selbsternannte „Frauenversteher“, das gefühlige deutschsprachige Texte mit Witz und Charme versehen nicht zwingend ein Fall für die ZDF-Hitparade sind. Lob verdient auch der Titel seines jüngsten Albums „Ich erkläre diese Krise für beendet“. Gemeinsam mit seiner Band Die Befreiung bringt Begemann am kommenden Mittwoch obendrein auch noch ein „musikalisches Konjunkturpaket“ mit in den Jakobshof, auf das man durchaus gespannt sein kann.

Donnerstag, 25. März 2010

Aachen Szene: Fleur Earth und No More

Kolumne "Aachen Szene", erschienen in Aachener Nachrichten, 25.03.2010

Deutschsprachiger Soul und Post-Punk-Electronica-Kraut-Glam: Die Konzerttipps für die nächsten Tage könnten wohl kaum gegensätzlicher sein - und kaum spannender.

Denkt man an Soul mit deutschen Texten und einer Prise HipHop, hat man schnell einen fromm erscheinenden, pathetisch schmachtenden Barden aus Mannheim vor Augen. Mit dem hat die Sängerin Fleur Earth jedoch herzlich wenig am Hut: "Vergiss Xavier Naidoos Bibelstunde", sagt sie. Stattdessen nennt sie ihr Album "Es entstehen Wesen" und stellt die Liebe nicht als gottgegebenes Wunder, sondern als omnipräsente Tatsache dar.

Dass der Vergleich mit Naidoo überhaupt herhalten muss, liegt schlicht daran, dass die Mittel, derer sich Fleur Earth bedient, ähnlich zu sein scheinen. Die in der ehemaligen DDR geborene, im Kongo aufgewachsene und heute in Köln beheimatete Sängerin nimmt Einflüsse aus Soul, Jazz, HipHop und Reggae, um darüber mit einer ungemein souligen Stimme ihre Geschichten zu erzählen. Das klangliche Ergebnis, zu dem ihre hervorragende Band (Fleur Earth Experiment) beiträgt, klingt ebenso nostalgisch wie modern, erinnert mal an Erykah Badu oder Madlib, mal an Billie Holiday.

Nun sind deutsche Texte oft so eine Sache. Dass Fleur Earth sich nicht in Predigten, Plattitüden oder Banalitäten verliert, muss man ihr hoch anrechnen. "Skurreal" nannte sie ein Mini-Album, das 2008 erschien -- und diese Bezeichnung trifft es wohl: Viele ihrer Texte erscheinen kryptisch und verschlossen und sollen es wohl auch sein. Sie ziehe ihre Texte aus den Tiefen ihres Herzens, sagt Fleur Earth, "sie erzählen von Schmerz und Freude. Alles wird verarbeitet und verschlüsselt."

Im Rheinland erfreut sich die Combo seit gut zwei Jahren einer wachsenden Fangemeinde, von einer "Neuen Kölner Schule" ist gar die Rede. Ob sich auch die Aachener für Fleur Earth erwärmen können, wird sich am Freitagabend um 21 Uhr im Malteserkeller zeigen (siehe Termine).

Nicht ganz so lange warten müssen diejenigen, die Lust auf "Post-Punk-Electronica-Kraut-Glam" haben -- dargebracht von einer Truppe, deren Hit "Suicide Commando" bereits seit 1981 in Elektro-, Dark Wave-, Techno- und Indiekreisen gleichermaßen rotiert. Bei so vielen Subkulturen verlieren Sie den Überblick? Keine Sorge -- vermutlich ist das genau das Ziel von No More.

Rückblick: 1979 gründet sich die Band um Andy A. Schwarz und Tina Sanudakura in Kiel und wird bald Teil der einheimischen Post-Punk und No Wave-Szene. Der Durchbruch gelingt ihnen zwei Jahre später mit besagtem Gassenhauer, der der deutschen Elektroszene international Tür und Tor öffnet -- und tatsächlich Genre übergreifend abgefeiert wird. Weitere Großtaten bleiben aus und 1986 lösen sich No More schließlich auf.

Wenn sich eine Band mit nur einem ordentlichen Hit über 20 Jahre nach ihrem vermeintlichen Ende wieder zusammen tut, ist freilich eine gewisse Skepsis angebracht. Doch No More kehrten 2008 nicht zurück, um ihre Rentenkasse aufzubessern. Auf ihrem gerade erschienenen Album "Midnight People & Lo-Life Stars" erfinden sich Schwarz und Sanudakura als Duo vollkommen neu. Zwar sind zuweilen noch Achtziger-Stilmittel in Form von dominanten Synthesizern oder artifiziellen Beats zu hören, aber abgesehen davon spannt die Band einen ebenso weiten wie eigensinnigen Bogen.

Man könnte sagen, ihre Mischung aus beinahe allen möglichen Genres ist bei aller Zeitlosigkeit fast wieder ungewollt modern. Und das liegt nicht nur am nicht enden wollenden 80er-Revival, im Zuge dessen junge Leute mittlerweile die Elektro-Wurzeln jenes Jahrzehnts wiederentdecken. Dem Duo scheint es im reiferen Alter gelungen zu sein, ihr einst in alle Richtungen schießendes Potenzial endlich unter einen (Album-) Hut zu bekommen. Und das Ergebnis ist mit "Post-Punk-Electronica-Kraut-Glam" wohl nur ansatzweise erfasst, hört sich aber umso interessanter an.

Wer sich noch immer nicht vorstellen kann, was ihn bei No More erwartet, der muss es sich wohl selbst anhören. Zum Beispiel heute Abend um 20.30 Uhr im Dumont, Zollernstraße.

Donnerstag, 18. März 2010

Ina Deter und die neuen Männer

Kolumne "Aachen Szene", erschienen in Aachener Nachrichten, 18.03.2010

Sie hat der Frauenbewegung die Parolen geliefert: Mit Hits wie „Neue Männer braucht das Land“ war Ina Deter der Männerschreck der Achtziger. Am Freitag kann man die mittlerweile hoffentlich etwas versöhnlichere Sängerin im Franz erleben.


„Frauen kommen langsam – aber gewaltig“, sang Ina Deter 1986 und sagte der Machowelt damit den Kampf an. „Neue Männer“ forderte sie – und mit ihr eine ganze Generation aufbegehrender Frauen, die vom Heimchendasein endgültig genug hatten. In der Rolle der Stichwortgeberin für die Frauenbewegung hat sich Ina Deter auf diese Weise in der westdeutschen Geschichte verewigt.

Am Anfang des neuen Jahrtausends gelang der Sängerin, die seinerzeit in Vetschau lebte, dann ein weiterer Achtungserfolg: Ihre Interpretationen von Piaf-Stücken mit eigenen deutschen Texten wurden nicht nur im Feuilleton begeistert gefeiert. Eine Zeitlang brillierte sie in der Rolle der gereiften Femme Fatale - bevor sie vor einigen Jahren beinahe selbst einer schweren Krankheit erlag. „Ein Wunder muss noch geschehen“, hatte Ina Deter bereits 1984 gesungen – und, als hätte sie es geahnt, widerfuhr ihr nun eines.

2008 veröffentlichte sie schließlich ihr jüngstes Album mit dem Titel „Ein Wunder“, auf dem sie elf ihrer größten Hits noch einmal neu aufnahm, ergänzt durch drei unveröffentlichte Nummern. Weniger agitatorisch, weniger laut ist sie nun (ihre Stücke spielt sie nun bevorzugt im Unplugged-Sound), doch im Kern ist sich Ina Deter bis heute treu geblieben: Einige Parolen aus den Achtzigern werden ihre Fans wohl auch bei ihrem Konzert im Franz wieder hören.

Aber vielleicht ist sie mit über 60 etwas milder gestimmt: Immerhin hat die Deter selbst zwei „neue Männer“ gefunden, denen sie über die Jahrzehnte hinweg treu geblieben ist: Mit ihren musikalischen Weggefährten Micki Meuser (Bass) und Manni Hollaender (Gitarre) teilt sie schließlich schon seit gut 30 Jahren die Bühne.

Indie-Pop aus Schweden

Sollte Frau Deter am Samstag noch in Aachen weilen, kann sie sich im Musikbunker vier „neue Männer“ anschauen, die ihr gefallen dürften: Die Schweden von Nervous Nellie, seit 2002 ein Team, machen nicht nur ausgesprochen emotionale Musik. Über sie heißt es auch: „Sie lassen uns lachen und weinen, ohne dass es peinlich wäre.“

Nein, mit Heulbojen hat man hat es hier sicher nicht zu tun. Viel mehr hat die Musik von Nervous Nellie ihren Ursprung in den Siebzigerjahren, als den Leuten rückblickend überhaupt sehr wenig peinlich zu sein schien. Den Stil der Schweden könnte man etwa so beschreiben: Hier geben sich David Bowie und George Harrison die Hand, beide nur mit Akustikgitarren und Harmonikas im Gepäck, und heuern eine junge Hippie-Band von der Westküste an – auf dass frische, verspielte Rockmusik mit ordentlich Folk-Einschlag entstehen möge.

Nervous Nellie wären keine Schweden, wenn sie nicht auch noch hartnäckige Ohrwürmer in petto hätten. Die klingen zwar hier und da wie schon mal gehört, werden aber mit so viel Verve dargebracht, dass man ein Holzklotz sein müsste, um nicht spätestens beim zweiten Refrain mitzusummen.

Jetzt hat sich das Quartett auf Tour begeben, im Gepäck ihr erst vor wenigen Tagen veröffentlichtes neues Album „Why dawn is called mourning“. Wer mit ihnen gemeinsam lachen und weinen möchte, sollte in den Keller des Musikbunkers kommen.

Donnerstag, 11. März 2010

Aachen Szene: Gero Körner und xrFarflight

Kolumne "Aachen Szene", erschienen in Aachener Nachrichten, 11.03.2010

In der Musik ist etwas möglich, von dem Menschen schon immer geträumt haben: Man kann sich mit ihr auf Zeitreisen begeben. Genau dazu laden der einheimische Jazzer Gero Körner und das Hamburger Duo xrFarflight mit ihren bevorstehenden Konzerten ein - und wählen dabei recht unterschiedliche Reiseziele.


Cluburlaub oder Rundreise? Diese Frage sollte am Anfang jeder Zeitreise stehen. Für Gero Körner war das Ziel - zumindest im Falle seines neuen Albums "Truth" - von Anfang klar: In die Sechziger und frühen Siebziger zog es ihn. Auch einen Ort hatte er fest im Blick: Nach Memphis wollte er, in die Heimat von Booker T. & The MGs, die den Soul Jazz mit frischer Leichtigkeit und ungeheurem Groove erst richtig populär machten. Und die fast nebenbei auch als Studio-Band von Otis Redding, Wilson Pickett und Isaac Hayes Musikgeschichte schrieben.

Eine Hommage an jene goldene Epoche des Memphis Soul ist "Truth" geworden. Das trifft nicht nur für die beschwingten Kompositionen zu, die so stilecht sind, dass sie die Jahrzehnte überdauert haben könnten, auch die Produktion des Albums erspart sich modernen Schnickschnack, klingt authentisch nach einer Zeit, in der Synthesizer und digitale Aufnahmetechnik noch Zukunftsmusik waren.

Neben der illustren Band um den 33-jährigen Monschauer Hammond-, Rhodes- und Keyboardvirtuosen bürgt dafür die amerikanische Soul-Diva Soleil Niklasson, deren sexy Timbre mal energisch, mal schwelgend an Größen wie Gladys Knight oder Shirley Bassey erinnert.

Maestro Körner, ansonsten gleichermaßen in Jazz-, Klassik- und Rockkreisen zu Hause und euregionalen Hörern nicht erst seit seinem Einstieg bei den Krautrock-Legenden von Ruphus Zuphall ein Begriff, setzt hier also einmal ganz auf Cluburlaub: Wer mitreisen möchte, wird am Samstag, 13. März, um 20 Uhr im Jakobshof (Stromgasse) abgeholt.

"Kontinente und Jahrzehnte zu benennen, in denen xrFarflight's Musik zielgenau zu verorten wäre, ist glücklicherweise weder nötig noch möglich", sagen Daniel Gädicke und Karsten Genz über ihre Reiseroute. Man sollte sich die Musik des Hamburger Duos vielleicht eher wie eine kleine Weltreise vorstellen: Allerdings weniger im komfortablen Jumbo-Jet als viel mehr im gemütlichen VW Bulli. Hier machen die beiden Reiseführer noch alles selbst: Gädicke und Karsten Genz laden zu einer gemütlichen Individualtour, die in den psychedelischen Sechzigern, bei Pink Floyd und Soft Machine beginnt und dann kreuz und quer durch die Musikgeschichte zickzackt, um schließlich bei aktuellen Indie-Helden wie Elliott Smith oder Motorpsycho anzukommen.

Dabei bezeichnet sich das Hamburger Duo als das "kleinste Quintett der Welt": In der Tat ist es zuweilen rätselhaft, wie die zwei jungen Herren mit der üblichen Zahl an Gliedmaßen gleichzeitig Schlagzeug, Gitarre, Orgel, Basspedal, E-Piano und manch anderes bedienen und dabei auch noch beide singen. Das Resultat - sie selbst nennen es "Miniaturrock" - ist jedenfalls sowohl akustisch als auch optisch überaus faszinierend. Hier werden dem Hörer nicht immer virtuos, aber mit viel Leidenschaft Kleinode der Musiklandschaft präsentiert: Zuckersüße Melodien treffen auf "verspielte Soundeskapaden", Schrammelgitarren auf lieblichen Chorgesang.

Und weil die Jungs so sympathische Indie-Jungs sind, kann man sich auch noch ihr komplettes Album kostenlos auf ihrer Homepage www.xrfarflight.com herunterladen.

Wer also Lust auf eine musikalische Rundreise mit viel Spielraum für Kursänderungen hat, sollte am Freitag, 12. März, um 20 Uhr in der Raststätte, Lothringerstraße, auf xrFarflight warten.

Donnerstag, 4. März 2010

Botanica: Liebe, Wahnsinn und andere Ausnahmezustände

Kolumne "Aachen Szene", erschienen in Aachener Nachrichten, 04.03.2010

Beim Namen Botanica drängt sich manchen erstmal der Gedanke an Grünzeug auf. Ob das bei der Namensfindung der gleichnamigen Band aus Los Angeles eine Rolle gespielt hat, ist nicht bekannt. Sicher ist aber, dass die Truppe um Sänger und Keyboarder Paul Wallfisch musikalisch zum spannendsten gehört, was auf Aachens Bühnen in nächster Zeit zu hören ist.

Die 1999 in Los Angeles gegründete Combo bringt Einflüsse unter einen Hut, die beim ersten Hören bunt zusammengewürfelt erscheinen: Geradlinige Rocksongs wechseln sich mit verschrobenen Blues-Oden im Stile von Tom Waits ab. Auf melancholische Balladen folgen Stücke im Mississippi Delta-Stil. Dann wieder ist pure Psychedelik angesagt – und das ist längst nicht alles.

Als „grobkörnigen, verqualmten, Brecht-artigen Bohemian Rock“ hat das Intro-Magazin die Stücke des Albums „Berlin Hi-Fi“ (2006) bezeichnet. Ein nicht ganz unpassendes Etikett, betont es doch das, was Botanica am ehesten ausmacht: Die Band schafft mit ihren zuweilen altmodisch anmutenden Stilelementen und der ausdrucksstarken Stimme Paul Wallfischs eine einzigartige, geradezu bedeutungsschwangere Atmosphäre, die trotz einer gewissen Theatralik nie ins Schwermütige abgleitet.

Vergleiche mit Tom Waits oder auch Nick Cave mögen bei einigen Stücken angebracht sein. Auch textlich – bei Botanica dreht sich alles um „Liebe, Wahnsinn und andere Ausnahmezustände“ – schlagen Botanica in eine ähnliche Kerbe. Doch während die berühmten Kollegen stilistisch relativ festgelegt sind, sucht und findet Bandleader Wallfisch sein Heil in der Vielfalt. Der Sohn rumänischer Juden, die vor den Nazis in die USA flüchteten, kennt keine Grenzen - schließlich habe die Realität ja auch keine, wie er einmal in einem Radio-Interview kundtat. Und so mischen Botanica die unterschiedlichsten, nur scheinbar widersprüchlichen Spielarten, um ihren völlig eigenen Stil zu kreieren.

Im Februar veröffentlichten Botanica ihr sechstes Album „Who you are“. Produziert wurde es übrigens in New York und Aachen, der Heimat ihres langjährigen Labels „rent a dog“ und ihres Co-Produzenten Ulli Rattay. Das Werk klingt wie aus einem Guss, bringt ihre ganze Ambivalenz auf den Punkt. „Love“ hatte der Arbeitstitel gelautet – und er hätte wohl auch gepasst: Bei allen stilistischen Gegensätzen wohnt dem Album eine unvergleichlich tiefe, warme Stimmung inne.

Für ihre aktuelle Tour konnten Botanica Brian Viglione von den Dresden Dolls als Schlagzeuger gewinnen. An der Gitarre ist John Andrews (Nena, Peter Murphy) mit von der Partie. Die namhaften Verstärkungen ergänzen die Band, die ansonsten aktuell aus Wallfisch und Bassist Jason Binnick besteht, auf dem jüngsten Album jedoch auch mit Größen wie Anne de Wolff (Streicher) und Martin Wenk (Trompete) zusammen arbeitete.

Live werden Botanica „furiose Shows“ bescheinigt. Bleibt zu hoffen, dass dies auch auf ihr Gastspiel im Musikbunker, Rehmannstraße, am kommenden Mittwoch, 10. März, ab 20 Uhr zutrifft. Wer Lust auf unorthodoxe, stimmungsvolle Musik und ein ganz sicher nicht alltägliches Konzert hat, dürfte jedenfalls auf seine Kosten kommen.