Donnerstag, 25. März 2010

Aachen Szene: Fleur Earth und No More

Kolumne "Aachen Szene", erschienen in Aachener Nachrichten, 25.03.2010

Deutschsprachiger Soul und Post-Punk-Electronica-Kraut-Glam: Die Konzerttipps für die nächsten Tage könnten wohl kaum gegensätzlicher sein - und kaum spannender.

Denkt man an Soul mit deutschen Texten und einer Prise HipHop, hat man schnell einen fromm erscheinenden, pathetisch schmachtenden Barden aus Mannheim vor Augen. Mit dem hat die Sängerin Fleur Earth jedoch herzlich wenig am Hut: "Vergiss Xavier Naidoos Bibelstunde", sagt sie. Stattdessen nennt sie ihr Album "Es entstehen Wesen" und stellt die Liebe nicht als gottgegebenes Wunder, sondern als omnipräsente Tatsache dar.

Dass der Vergleich mit Naidoo überhaupt herhalten muss, liegt schlicht daran, dass die Mittel, derer sich Fleur Earth bedient, ähnlich zu sein scheinen. Die in der ehemaligen DDR geborene, im Kongo aufgewachsene und heute in Köln beheimatete Sängerin nimmt Einflüsse aus Soul, Jazz, HipHop und Reggae, um darüber mit einer ungemein souligen Stimme ihre Geschichten zu erzählen. Das klangliche Ergebnis, zu dem ihre hervorragende Band (Fleur Earth Experiment) beiträgt, klingt ebenso nostalgisch wie modern, erinnert mal an Erykah Badu oder Madlib, mal an Billie Holiday.

Nun sind deutsche Texte oft so eine Sache. Dass Fleur Earth sich nicht in Predigten, Plattitüden oder Banalitäten verliert, muss man ihr hoch anrechnen. "Skurreal" nannte sie ein Mini-Album, das 2008 erschien -- und diese Bezeichnung trifft es wohl: Viele ihrer Texte erscheinen kryptisch und verschlossen und sollen es wohl auch sein. Sie ziehe ihre Texte aus den Tiefen ihres Herzens, sagt Fleur Earth, "sie erzählen von Schmerz und Freude. Alles wird verarbeitet und verschlüsselt."

Im Rheinland erfreut sich die Combo seit gut zwei Jahren einer wachsenden Fangemeinde, von einer "Neuen Kölner Schule" ist gar die Rede. Ob sich auch die Aachener für Fleur Earth erwärmen können, wird sich am Freitagabend um 21 Uhr im Malteserkeller zeigen (siehe Termine).

Nicht ganz so lange warten müssen diejenigen, die Lust auf "Post-Punk-Electronica-Kraut-Glam" haben -- dargebracht von einer Truppe, deren Hit "Suicide Commando" bereits seit 1981 in Elektro-, Dark Wave-, Techno- und Indiekreisen gleichermaßen rotiert. Bei so vielen Subkulturen verlieren Sie den Überblick? Keine Sorge -- vermutlich ist das genau das Ziel von No More.

Rückblick: 1979 gründet sich die Band um Andy A. Schwarz und Tina Sanudakura in Kiel und wird bald Teil der einheimischen Post-Punk und No Wave-Szene. Der Durchbruch gelingt ihnen zwei Jahre später mit besagtem Gassenhauer, der der deutschen Elektroszene international Tür und Tor öffnet -- und tatsächlich Genre übergreifend abgefeiert wird. Weitere Großtaten bleiben aus und 1986 lösen sich No More schließlich auf.

Wenn sich eine Band mit nur einem ordentlichen Hit über 20 Jahre nach ihrem vermeintlichen Ende wieder zusammen tut, ist freilich eine gewisse Skepsis angebracht. Doch No More kehrten 2008 nicht zurück, um ihre Rentenkasse aufzubessern. Auf ihrem gerade erschienenen Album "Midnight People & Lo-Life Stars" erfinden sich Schwarz und Sanudakura als Duo vollkommen neu. Zwar sind zuweilen noch Achtziger-Stilmittel in Form von dominanten Synthesizern oder artifiziellen Beats zu hören, aber abgesehen davon spannt die Band einen ebenso weiten wie eigensinnigen Bogen.

Man könnte sagen, ihre Mischung aus beinahe allen möglichen Genres ist bei aller Zeitlosigkeit fast wieder ungewollt modern. Und das liegt nicht nur am nicht enden wollenden 80er-Revival, im Zuge dessen junge Leute mittlerweile die Elektro-Wurzeln jenes Jahrzehnts wiederentdecken. Dem Duo scheint es im reiferen Alter gelungen zu sein, ihr einst in alle Richtungen schießendes Potenzial endlich unter einen (Album-) Hut zu bekommen. Und das Ergebnis ist mit "Post-Punk-Electronica-Kraut-Glam" wohl nur ansatzweise erfasst, hört sich aber umso interessanter an.

Wer sich noch immer nicht vorstellen kann, was ihn bei No More erwartet, der muss es sich wohl selbst anhören. Zum Beispiel heute Abend um 20.30 Uhr im Dumont, Zollernstraße.

Donnerstag, 18. März 2010

Ina Deter und die neuen Männer

Kolumne "Aachen Szene", erschienen in Aachener Nachrichten, 18.03.2010

Sie hat der Frauenbewegung die Parolen geliefert: Mit Hits wie „Neue Männer braucht das Land“ war Ina Deter der Männerschreck der Achtziger. Am Freitag kann man die mittlerweile hoffentlich etwas versöhnlichere Sängerin im Franz erleben.


„Frauen kommen langsam – aber gewaltig“, sang Ina Deter 1986 und sagte der Machowelt damit den Kampf an. „Neue Männer“ forderte sie – und mit ihr eine ganze Generation aufbegehrender Frauen, die vom Heimchendasein endgültig genug hatten. In der Rolle der Stichwortgeberin für die Frauenbewegung hat sich Ina Deter auf diese Weise in der westdeutschen Geschichte verewigt.

Am Anfang des neuen Jahrtausends gelang der Sängerin, die seinerzeit in Vetschau lebte, dann ein weiterer Achtungserfolg: Ihre Interpretationen von Piaf-Stücken mit eigenen deutschen Texten wurden nicht nur im Feuilleton begeistert gefeiert. Eine Zeitlang brillierte sie in der Rolle der gereiften Femme Fatale - bevor sie vor einigen Jahren beinahe selbst einer schweren Krankheit erlag. „Ein Wunder muss noch geschehen“, hatte Ina Deter bereits 1984 gesungen – und, als hätte sie es geahnt, widerfuhr ihr nun eines.

2008 veröffentlichte sie schließlich ihr jüngstes Album mit dem Titel „Ein Wunder“, auf dem sie elf ihrer größten Hits noch einmal neu aufnahm, ergänzt durch drei unveröffentlichte Nummern. Weniger agitatorisch, weniger laut ist sie nun (ihre Stücke spielt sie nun bevorzugt im Unplugged-Sound), doch im Kern ist sich Ina Deter bis heute treu geblieben: Einige Parolen aus den Achtzigern werden ihre Fans wohl auch bei ihrem Konzert im Franz wieder hören.

Aber vielleicht ist sie mit über 60 etwas milder gestimmt: Immerhin hat die Deter selbst zwei „neue Männer“ gefunden, denen sie über die Jahrzehnte hinweg treu geblieben ist: Mit ihren musikalischen Weggefährten Micki Meuser (Bass) und Manni Hollaender (Gitarre) teilt sie schließlich schon seit gut 30 Jahren die Bühne.

Indie-Pop aus Schweden

Sollte Frau Deter am Samstag noch in Aachen weilen, kann sie sich im Musikbunker vier „neue Männer“ anschauen, die ihr gefallen dürften: Die Schweden von Nervous Nellie, seit 2002 ein Team, machen nicht nur ausgesprochen emotionale Musik. Über sie heißt es auch: „Sie lassen uns lachen und weinen, ohne dass es peinlich wäre.“

Nein, mit Heulbojen hat man hat es hier sicher nicht zu tun. Viel mehr hat die Musik von Nervous Nellie ihren Ursprung in den Siebzigerjahren, als den Leuten rückblickend überhaupt sehr wenig peinlich zu sein schien. Den Stil der Schweden könnte man etwa so beschreiben: Hier geben sich David Bowie und George Harrison die Hand, beide nur mit Akustikgitarren und Harmonikas im Gepäck, und heuern eine junge Hippie-Band von der Westküste an – auf dass frische, verspielte Rockmusik mit ordentlich Folk-Einschlag entstehen möge.

Nervous Nellie wären keine Schweden, wenn sie nicht auch noch hartnäckige Ohrwürmer in petto hätten. Die klingen zwar hier und da wie schon mal gehört, werden aber mit so viel Verve dargebracht, dass man ein Holzklotz sein müsste, um nicht spätestens beim zweiten Refrain mitzusummen.

Jetzt hat sich das Quartett auf Tour begeben, im Gepäck ihr erst vor wenigen Tagen veröffentlichtes neues Album „Why dawn is called mourning“. Wer mit ihnen gemeinsam lachen und weinen möchte, sollte in den Keller des Musikbunkers kommen.

Donnerstag, 11. März 2010

Aachen Szene: Gero Körner und xrFarflight

Kolumne "Aachen Szene", erschienen in Aachener Nachrichten, 11.03.2010

In der Musik ist etwas möglich, von dem Menschen schon immer geträumt haben: Man kann sich mit ihr auf Zeitreisen begeben. Genau dazu laden der einheimische Jazzer Gero Körner und das Hamburger Duo xrFarflight mit ihren bevorstehenden Konzerten ein - und wählen dabei recht unterschiedliche Reiseziele.


Cluburlaub oder Rundreise? Diese Frage sollte am Anfang jeder Zeitreise stehen. Für Gero Körner war das Ziel - zumindest im Falle seines neuen Albums "Truth" - von Anfang klar: In die Sechziger und frühen Siebziger zog es ihn. Auch einen Ort hatte er fest im Blick: Nach Memphis wollte er, in die Heimat von Booker T. & The MGs, die den Soul Jazz mit frischer Leichtigkeit und ungeheurem Groove erst richtig populär machten. Und die fast nebenbei auch als Studio-Band von Otis Redding, Wilson Pickett und Isaac Hayes Musikgeschichte schrieben.

Eine Hommage an jene goldene Epoche des Memphis Soul ist "Truth" geworden. Das trifft nicht nur für die beschwingten Kompositionen zu, die so stilecht sind, dass sie die Jahrzehnte überdauert haben könnten, auch die Produktion des Albums erspart sich modernen Schnickschnack, klingt authentisch nach einer Zeit, in der Synthesizer und digitale Aufnahmetechnik noch Zukunftsmusik waren.

Neben der illustren Band um den 33-jährigen Monschauer Hammond-, Rhodes- und Keyboardvirtuosen bürgt dafür die amerikanische Soul-Diva Soleil Niklasson, deren sexy Timbre mal energisch, mal schwelgend an Größen wie Gladys Knight oder Shirley Bassey erinnert.

Maestro Körner, ansonsten gleichermaßen in Jazz-, Klassik- und Rockkreisen zu Hause und euregionalen Hörern nicht erst seit seinem Einstieg bei den Krautrock-Legenden von Ruphus Zuphall ein Begriff, setzt hier also einmal ganz auf Cluburlaub: Wer mitreisen möchte, wird am Samstag, 13. März, um 20 Uhr im Jakobshof (Stromgasse) abgeholt.

"Kontinente und Jahrzehnte zu benennen, in denen xrFarflight's Musik zielgenau zu verorten wäre, ist glücklicherweise weder nötig noch möglich", sagen Daniel Gädicke und Karsten Genz über ihre Reiseroute. Man sollte sich die Musik des Hamburger Duos vielleicht eher wie eine kleine Weltreise vorstellen: Allerdings weniger im komfortablen Jumbo-Jet als viel mehr im gemütlichen VW Bulli. Hier machen die beiden Reiseführer noch alles selbst: Gädicke und Karsten Genz laden zu einer gemütlichen Individualtour, die in den psychedelischen Sechzigern, bei Pink Floyd und Soft Machine beginnt und dann kreuz und quer durch die Musikgeschichte zickzackt, um schließlich bei aktuellen Indie-Helden wie Elliott Smith oder Motorpsycho anzukommen.

Dabei bezeichnet sich das Hamburger Duo als das "kleinste Quintett der Welt": In der Tat ist es zuweilen rätselhaft, wie die zwei jungen Herren mit der üblichen Zahl an Gliedmaßen gleichzeitig Schlagzeug, Gitarre, Orgel, Basspedal, E-Piano und manch anderes bedienen und dabei auch noch beide singen. Das Resultat - sie selbst nennen es "Miniaturrock" - ist jedenfalls sowohl akustisch als auch optisch überaus faszinierend. Hier werden dem Hörer nicht immer virtuos, aber mit viel Leidenschaft Kleinode der Musiklandschaft präsentiert: Zuckersüße Melodien treffen auf "verspielte Soundeskapaden", Schrammelgitarren auf lieblichen Chorgesang.

Und weil die Jungs so sympathische Indie-Jungs sind, kann man sich auch noch ihr komplettes Album kostenlos auf ihrer Homepage www.xrfarflight.com herunterladen.

Wer also Lust auf eine musikalische Rundreise mit viel Spielraum für Kursänderungen hat, sollte am Freitag, 12. März, um 20 Uhr in der Raststätte, Lothringerstraße, auf xrFarflight warten.

Donnerstag, 4. März 2010

Botanica: Liebe, Wahnsinn und andere Ausnahmezustände

Kolumne "Aachen Szene", erschienen in Aachener Nachrichten, 04.03.2010

Beim Namen Botanica drängt sich manchen erstmal der Gedanke an Grünzeug auf. Ob das bei der Namensfindung der gleichnamigen Band aus Los Angeles eine Rolle gespielt hat, ist nicht bekannt. Sicher ist aber, dass die Truppe um Sänger und Keyboarder Paul Wallfisch musikalisch zum spannendsten gehört, was auf Aachens Bühnen in nächster Zeit zu hören ist.

Die 1999 in Los Angeles gegründete Combo bringt Einflüsse unter einen Hut, die beim ersten Hören bunt zusammengewürfelt erscheinen: Geradlinige Rocksongs wechseln sich mit verschrobenen Blues-Oden im Stile von Tom Waits ab. Auf melancholische Balladen folgen Stücke im Mississippi Delta-Stil. Dann wieder ist pure Psychedelik angesagt – und das ist längst nicht alles.

Als „grobkörnigen, verqualmten, Brecht-artigen Bohemian Rock“ hat das Intro-Magazin die Stücke des Albums „Berlin Hi-Fi“ (2006) bezeichnet. Ein nicht ganz unpassendes Etikett, betont es doch das, was Botanica am ehesten ausmacht: Die Band schafft mit ihren zuweilen altmodisch anmutenden Stilelementen und der ausdrucksstarken Stimme Paul Wallfischs eine einzigartige, geradezu bedeutungsschwangere Atmosphäre, die trotz einer gewissen Theatralik nie ins Schwermütige abgleitet.

Vergleiche mit Tom Waits oder auch Nick Cave mögen bei einigen Stücken angebracht sein. Auch textlich – bei Botanica dreht sich alles um „Liebe, Wahnsinn und andere Ausnahmezustände“ – schlagen Botanica in eine ähnliche Kerbe. Doch während die berühmten Kollegen stilistisch relativ festgelegt sind, sucht und findet Bandleader Wallfisch sein Heil in der Vielfalt. Der Sohn rumänischer Juden, die vor den Nazis in die USA flüchteten, kennt keine Grenzen - schließlich habe die Realität ja auch keine, wie er einmal in einem Radio-Interview kundtat. Und so mischen Botanica die unterschiedlichsten, nur scheinbar widersprüchlichen Spielarten, um ihren völlig eigenen Stil zu kreieren.

Im Februar veröffentlichten Botanica ihr sechstes Album „Who you are“. Produziert wurde es übrigens in New York und Aachen, der Heimat ihres langjährigen Labels „rent a dog“ und ihres Co-Produzenten Ulli Rattay. Das Werk klingt wie aus einem Guss, bringt ihre ganze Ambivalenz auf den Punkt. „Love“ hatte der Arbeitstitel gelautet – und er hätte wohl auch gepasst: Bei allen stilistischen Gegensätzen wohnt dem Album eine unvergleichlich tiefe, warme Stimmung inne.

Für ihre aktuelle Tour konnten Botanica Brian Viglione von den Dresden Dolls als Schlagzeuger gewinnen. An der Gitarre ist John Andrews (Nena, Peter Murphy) mit von der Partie. Die namhaften Verstärkungen ergänzen die Band, die ansonsten aktuell aus Wallfisch und Bassist Jason Binnick besteht, auf dem jüngsten Album jedoch auch mit Größen wie Anne de Wolff (Streicher) und Martin Wenk (Trompete) zusammen arbeitete.

Live werden Botanica „furiose Shows“ bescheinigt. Bleibt zu hoffen, dass dies auch auf ihr Gastspiel im Musikbunker, Rehmannstraße, am kommenden Mittwoch, 10. März, ab 20 Uhr zutrifft. Wer Lust auf unorthodoxe, stimmungsvolle Musik und ein ganz sicher nicht alltägliches Konzert hat, dürfte jedenfalls auf seine Kosten kommen.