Donnerstag, 13. Mai 2010

Konzerttipps: Ohrbooten, The Late Call und Björn Kleinhenz

Kolumne "Aachen Szene" für Aachener Nachrichten, erschienen am 13.05.2010

Am kommenden Samstag trennt sich die Party- von der Romantikfraktion: Während es die Berliner Ohrbooten im Musikbunker vermutlich mächtig krachen lassen, darf in der Raststätte bei The Late Call und Björn Kleinhenz andächtig geschwelgt und geträumt werden.

„Von Bob Marley bis Slipknot steckt quasi alles im Gyp Hop“, singen die vier Ohrbooten und erläutern auf ihrem gleichnamigen neusten Album gleich auf Anhieb, worum es bei ihnen geht. Wer es noch genauer wissen will: Die Ohrbooten vereinen seit 2003 Reggae- und Raggarhythmen mit deutschsprachigem Sprechgesang und lassen ganz nebenbei Einflüsse aus aller Welt und aus fast allen denkbaren Genres einfließen. Da ist es wenig erstaunlich, dass die Combo bereits 2006 den Deutschen Weltmusikpreis RUTH gewinnen konnte.

Derbe Bouncer und Gyp Hop
Dass ihre Musik so unglaublich energiegeladen klingt und die letzte Schlafmütze zum Stehjoggen inspirieren dürfte, könnte daran liegen, dass die vier Berliner „im Proberaum etliche Liter Kaffee“ zu sich genommen haben – was zweifellos seine Spuren hinterlassen hat. Abgesehen von wenigen Ruhepausen, die die Ohrbooten sich und ihrem Publikum gönnen, spurten die Jungs mit einer Dynamik und einer Spielfreude durch ihr Programm, dass selbst die größten Tanzmuffel irgendwann Zuckungen in den Beinen bekommen.

„Derbe Bouncer“ haben Frontman Ben, Gitarrist Matze, Onkel (Schlagzeug) und Noodt (Bass, Tasten) jede Menge im Programm. Dabei hat ihr „Gyp Hop“ mit dem deutschsprachigen HipHop, der seit Jahren die Charts dominiert, eher wenig zu tun – so verspielt, schräg und überbordend vor Ideen ist das Ganze, dass es hierzulande seinesgleichen noch sucht. Man merkt sofort, dass die Erschaffer der „Falafelbeats“ einmal als Straßenmusiker angefangen haben und auch außerhalb ihrer musikalischen Profession kaum wissen, wohin mit so viel Kreativität und Energie: Jedes der Bandmitglieder scheint pflegt zig Nebenprojekte.

„Das Leben ist eine große Autobahn“, rappen die Jungs in einem ihrer bekanntesten Stücke. Am Samstag um 20 Uhr fahren die vier einmal kurz ab und machen Station im Musikbunker, Rehmannstraße.

Passender wäre es natürlich, sie spielten in der Raststätte in der Lothringerstraße, doch da ist um 20 Uhr schon das Kontrastprogramm angesagt: Zu Gast sind die beiden Singer-Songwriter The Late Call alias Johannes Meyer und Björn Kleinhenz, der eine Wahl-Stockholmer mit deutschem Pass, der andere echter Schwede.

"Manifest gegen postmoderne Samstagabendunterhaltung"
Meyer hat ein Album aufgenommen, dass seine Plattenfirma Tapete Records so beschreibt: „’Leaving Notes’ klingt wie ein Manifest gegen die postmoderne Samstagabendunterhaltung“. Das klingt nach einer ziemlichen Spaßbremse - und ist es auch, zumindest wenn man das Publikum der Ohrbooten fragen würde. Zum Glück sind hier jedoch ganz andere Qualitäten vorhanden.

Bei The Late Call darf nach Herzenslust geschwelgt, geträumt und geschmachtet werden: Der 27-jährige Gitarrist und Sänger habe Melodien, die „lange im Gedächtnis und vor allem im Herzen bleiben“, schrieb etwa das Onlinezine laxmag.de. Solche Begeisterung rührt wohl daher, dass The Late Call kompositorisch wie gesanglich ganz klar in der Tradition sensibler Liedermacher wie Nick Drake, Elliott Smith und Tiger Lou steht. Bei ihm braucht sich für seine Gänsehaut zu schämen. Mit zarter Stimme und feinem Picking auf der Akustikgitarre gelingt es ihm, sein Publikum auf eine ganz altmodische Weise zu berühren. Böse Zungen oder Ohrbooten-Fans mögen das „Frauenmusik“ schimpfen. Alle anderen schweigen und genießen.

In beinahe allen von Meyers Stücken schwingt Melancholie mit. Selbst wenn er darüber singt, wie glücklich er gerade sei, nimmt man es ihm nie wirklich ab. Seine Platte sei „der Beweis, dass eine Fernbeziehung Spuren hinterlässt“, schreibt sein Hamburger Label. In der Tat: Er muss es schwer haben im fernen Stockholm, wo die Sommer kurz und die Winter düster sind. Aber genau diesem Umstand verdanken Meyers Fans wohl diese gefühlvollen Kleinode, die noch lange nachhallen.

Björn Kleinhenz hat an den Aufnahmen zu „Leaving Notes“ mitgewirkt, wird aber in der Raststätte auch eigene Stücke spielen, denn derer hat er in den vergangenen zehn Jahren so einige zusammengetragen. Auch Kleinhenz ist ein großer Nostalgiker, gibt zuweilen auch mal Kassetten an seine Fans raus und schlägt musikalisch in die gleiche Kerbe wie The Late Call. Allerdings klingt Kleinhenz noch ein bisschen schwedischer, erlaubt sich mehr Einflüsse aus der Pop- und Indiekiste. Vergleiche mit Damian Rice und José Gonzalez sind bei ihm aber auch nicht ganz verkehrt.

Am Samstag muss man sich also entscheiden, ob man lieber die Nacht zum Tag oder den Tag zur Nacht machen will. Beides ist drin – und zwar mit Klasse.

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